Ganser und das rhetorische Fettnäpfchen um den Holocaust

Am 6. Februar 2023 wurde bekannt, dass die Betreiber der Westfalen-Halle in Dortmund per Vertragskündigung einen Auftritt des Schweizer Historikers Dr. Daniele Ganser, organisiert für den 27. März 2023, vorerst unterbunden haben. Eine erfolgreiche juristische Anfechtung seitens Ganser ist meiner Einschätzung nach unwahrscheinlich.

Wären die Behauptungen über Ganser in strafbarem Maße unwahr, könnte man sich über eine Strafantrag auf Grundlage von § 186 StGB, Üble Nachrede höchst wahrscheinlich wirksam gegen die Vertragskündigung zu Wehr setzen, da die Begründungen dafür dann unhaltbar würden.

Leider ist Ganser in das sprichwörtliche Fettnäpfchen getreten. Insbesondere aufgrund folgender Aussage von Ganser in dem Dokumentarfilm “Pandemned”, war es leicht gegen Ganser Kampagne zu machen. Damit dies nachvollziehbar wird, folgt zuerst ein Zitat der Aussage Gansers, dann ein Zitat des Dortmunder CDU-Politikers Waßmann, der beispielhaft und rhetorisch effektiv Bezug auf Gansers Aussage nimmt. Im Anschluss folgt ein Faktencheck mit einer juristischen Einschätzung*.

“Also es gab natürlich lokal, also z.B in Europa, den Kampf zwischen Protestanten und Katholiken, und da hat jeder gedacht: »Ich habe Recht« und hat den anderen umgebracht. Ja, also das gab es immer wieder. Oder im Dritten Reich, Juden und Nazis, da haben die Nazis gesagt: »Juden, das sind Tiere« und haben sie vergast. Oder in Kambodscha hat Pol Pot eine Revolution gemacht und hat gesagt, alle die Brille tragen, das sind die klugen Menschen, das ist die Oberschicht, die müssen wir umbringen: Killing fields. Das heißt es gab immer lokal, in einzelnen Ländern, gab es Wahnsinn. Das ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist es weltweit Wahnsinn. Also das ist neu, dass eigentlich jetzt in der ganzen Welt, diese Spaltung zwischen »geimpft« und »ungeimpft« ist, und dass die zwei Gruppen wie Armeen gegeneinander ziehen.”

So Ganser, auf die Frage, ob es irgendwann in der Vergangenheit eine Zeit gegeben hat, wo die Menschheit auf eine vergleichbare Art und Weise wie jetzt gespalten war. Nachzusehen unter folgendem Link: Video mit Zeitmarker

Dies nutzte, als erster und rhetorisch geschicktester aller Redner, das CDU-Fraktionsmitglied im Dortmunder Stadtrat, Uwe Waßmann, für folgende auszugsweise Rede, in der er direkt Bezug nimmt auf die Aussagen Gansers im genannten Dokumentarfilm:

“[..] Darin findet sich [..] auch der hier diskutierte Verschwörungstheoretiker Daniele Ganser wieder. Er vergleicht darin eine von ihm wahrgenommene Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften mit dem dritten Reich, in dem die Nazis den Holocaust an den Juden verübten, und bezeichnet diesen als “lokales” Ereignis. Was für sich allein schon geschichtsrevisionistisch und [den] Holocaust verharmlosend ist. Es ist nicht nur hoch problematisch, wenn auf eine Frage im Kontext der Pandemie nach vergleichbaren Vorgängen gesellschaftlicher Spaltung – “angeblicher” gesellschaftlicher Spaltung – in der Geschichte, von Ganser umgehend die Shoa genannt wird. Es ist abstoßend und antisemitisch, denn im Holocaust gab es keine zwei Seiten, die sich gegenüber standen. [..] Die kodierten Aussagen Gansers und die Chiffre in seinen Thesen, führen das Antisemitische durch die Hintertür ein und das sollte jetzt auch in Dortmund geschehen. Diesem sekundären Antisemitismus darf in unserer Stadt kein Raum gegeben werden. [..]“”

Die Rede kann unter folgendem Link als Teil der aufgezeichneten Ratssizung angesehen werden: Video mit Zeitmarker

Faktencheck

Hat Ganser den Holocaust als lokales Ereignis bezeichnet?

Es fehlt zwar in den Aussagen Waßmanns der Kontext für das Wort »lokal« – ohne Kontext hört sich das Wort lokal wie eine Verharmlosung an, weil man im Kontext seiner Rede geneigt ist, es auf Deutschland zu beziehen. Es wird von Ganser aber klar als Gegensatz zu “weltweit” gebraucht, und ist somit sachlich richtig und erscheint im Kontext auch nicht als verharmlosend. Allerdings ist Waßmanns Aussage dem Sinngehalt nach immer noch “erweislich wahr”, denn Ganser hat unter anderem im Bezug auf den Holocaust gesagt:

“Das heißt es gab immer lokal, in einzelnen Ländern, gab es Wahnsinn. Das ist ja Wahnsinn. Aber jetzt ist es weltweit Wahnsinn.”

Damit ist die Aussage Waßmanns “erweislich wahr” und §186 StGB, Üble Nachrede würde nicht greifen, auch wenn er insgesamt kein wahres Bild von Ganser vermittelt*.

Hat Ganser den Holocaust mit der Corona-Situation verglichen?

Vergleiche kann man jedem vorhalten. Ein Vergleich entsteht im weitesten Sinne schon, wenn man die eine Sache im Kontext der anderen auch nur erwähnt. Dass nicht der Vergleich, sondern die Verharmlosung das Problem ist, wird leider oft außer Acht gelassen. Ein Vergleich kann, wenn er mit einer Gleichsetzung verbunden wird, eine Verharmlosung darstellen. Waßmann hat jedoch Ganser direkt keine Verharmlosung, sondern einen Vergleich unterstellt, und damit ist seine Aussage sachlich zutreffend. Er nutzte zwar auch das Wort verharmlosend, aber indirekt und angeführt durch die Formulierung »Was für sich allein..«, was, ob beabsichtigt oder nicht, die Aussage juristisch schwer greifbar machen dürfte.

Fazit und Kommentar

Da in Deutschland und auch Österreich aufgrund entsprechender Bildungspolitik seit dem Ende der Nazi-Herrschaft und wegen familiärer Betroffenheit eine hohe Sensibilität bezüglich dem Holocaust und relevanten Themen besteht, und viele Menschen – bei entsprechender Rhetorik – aus Angst, Sorge, gesellschaftlichem Druck oder anderen psychologischen Gründen sehr emotional auf Aussagen zu diesem Thema reagieren können, wird man immer mindestens in ein Fettnäpfchen treten, wenn man diesen Kontext bemüht. Diejenigen, die die Meinungshoheit besitzen, haben dann rhetorisch immer ein leichtes Spiel. Es empfiehlt sich also, diese Themen zu vermeiden, wenn das eigene Image in der Öffentlichkeit relevant ist und gebraucht wird.


*Ich bin kein Jurist.