Unabhängige Berichterstattung
Reaktion auf die Tagesschau-Aufklärung
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-russland-mythen-101.html
Die reichweitenstarke Institution der Tagesschau ist ein Flaggschiff der atlantischen Medienfront in Deutschland. Es ist beinahe müßig, das näher zu erläutern. Zweifellos ist die Tagesschau ein ultra-professioneller Medienbetrieb. Doch diese Professionalität wird weithin für Integrität gehalten. Das ist verhängnisvoll.
Da ich mich durch die systematischen Auslassungen und das geschickte Framing und Wording der Tagesschau mit ihren suggestiven Bildkommentaren regelmäßig brüskiert fühle, fällt es mir schwer, mich dem noch gezielt auszusetzen. Ich habe den verlinkten 'Faktencheck' dennoch gelesen. Wie den meisten Menschen fehlt mir die Zeit, einen sorgfältigen Gegencheck zu erstellen. Da das Lesen gewöhnlich am Ende des Beitrags endet, will ich einfach den letzten Punkt betrachten.
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Die häufigsten Verschwörungsmythen [ex ante framing]
“Die Ukraine war kurz davor, sich Atomwaffen zu besorgen.”
Für diese Behauptung hat Russland keine stichhaltigen Belege vorgelegt. Die Ukraine verpflichtete sich 1994 im Memorandum von Budapest zur Abgabe der auf ihrem Territorium stationierten Atomwaffen – im Gegenzug für Sicherheitsgarantien. Dieses Abkommen brach Russland 2014 mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine.
Die USA, andere Staaten und insbesondere die Bundesrepublik verweigerten der Ukraine lange Zeit den Wunsch nach Waffenlieferungen. Erst unter US-Präsident Donald Trump erhielt die Ukraine die ersten Panzerabwehrraketen vom Typ “Javelin”. Diese Politik änderte sich erst mit der Aggression Russlands gegen die Ukraine. Aber auch seitdem wurden nur bestimmte Waffentypen an die Ukraine geliefert, die maßgeblich der Verteidigung dienen.
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Während der Münchner Sicherheitskonferenz- vor der russischen Militäroffensive – begann ab 16.02.2022 ein gegenüber den Monaten davor um den Faktor 10 erhöhter Beschuss der Donbass-Region. Diese Massierung von Angriffen wird von OSZE-Beobachtern bestätigt. https://www.jungewelt.de/artikel/421357.ukraine-konflikt-donbass-unter-beschuss.html Daraufhin werden tausende Bürger aus Sicherheitsgründen aus der Region evakuiert. Die russische Führung spricht später von einer Eskalation, die auf einen unmittelbar bevorstehenden militärischen Angriff von ukrainischer Seite hindeutete. Ihren Informationen nach galt diese Angriffsplanung der Zurückeroberung der Krim und der politisch militärischen “Säuberung” der Ostgebiete mit Hilfe ausländischer Partner. Nach ukrainischer Darstellung waren die beschriebenen Angriffe dagegen entweder gefaked oder von russischer Seite aus erfolgt. Russland habe die Evakuierung der Bürger schließlich veranlasst, um für einen nachfolgenden Angriff ein freies Schussfeld zu haben.
Natürlich folgt die Tagesschau der ukrainischen Sicht. Welche Veranlassung Separatisten oder russische Streitkräfte haben sollten, ihre eigenen Familien zu massakrieren, an dieser Frage hält man sich nicht auf. Man zitiert das ukrainische Verteidigungsministerium, um anschließend über russische Truppenbewegungen zu berichten. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-russland-153.html
In seiner Rede auf der 58. Münchner Sicherheitskonferenz am 19.02.2022 stellte Selenskij die ukrainische Seite erwartungsgemäß als Opfer einer seit acht Jahren währenden russischen Aggression dar, welche die mit ukrainischem Blut erkämpften Errungenschaften des Maidan zu relativieren versucht, eine Erzählung, die seit dem Einmarsch der russischen Streitkräfte über allen Zweifel erhaben zu sein scheint. Selenskij sagte wörtlich:
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Die Sicherheitsarchitektur in Europa und der Welt ist nahezu zerstört. Es ist zu spät, an Reparaturen zu denken. Es ist Zeit, ein neues System aufzubauen.
Die Menschheit hat dies zweimal getan und einen zu hohen Preis bezahlt – zwei Weltkriege. Wir haben die Chance, diesen Trend zu brechen, bis er zur Regelmäßigkeit wird. Und beginnen Sie, ein neues System aufzubauen, BEVOR wir Millionen von Opfern haben. Die alten Lehren aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zu haben, nicht die Erfahrung eines möglichen Dritten aus erster Hand.
Ich habe hier darüber gesprochen. Und bei der UNO auch. Ich habe gesagt, dass es im 21. Jahrhundert keinen Krieg im Ausland gibt. Dass die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass ein Schlag für die ganze Welt sind.
Und das ist kein Krieg in der Ukraine, sondern ein Krieg in Europa. Das habe ich auf Gipfeln und Foren gesagt. 2019. 2020. 2021. Hat die Welt das 2022 endlich gehört? ...
Wie dem auch sei, wir werden unser Land verteidigen. Egal wie viele – 50.000, 150.000 oder 1 Million – Soldaten jeder Armee an der Grenze stationiert sind. Um der Ukraine wirklich zu helfen, braucht man nicht zu sagen, wie viele von ihnen es gibt. Sie müssen sagen, wie viele von uns hier sind.
Um der Ukraine wirklich zu helfen, muss man nicht ständig über die Größe einer möglichen Invasion sprechen. Wir werden unser Land am 16. Februar, 1. März und 31. Dezember verteidigen. Wir brauchen andere Größen viel mehr. Und jeder versteht sehr gut, von welchen Größen ich spreche. Morgen begeht die Ukraine den Tag der Helden der Himmlischen Hundert.
Ich initiiere Konsultationen im Rahmen des Budapester Memorandums. Der Außenminister wurde beauftragt, sie einzuberufen. Wenn sie wieder nicht stattfinden oder zu keinen konkreten Entscheidungen zur Gewährleistung der Sicherheit unseres Staates führen, wird die Ukraine mit Recht glauben, dass das Budapester Memorandum nicht funktioniert und alle Beschlüsse des Pakets von 1994 in Frage gestellt wurden. ...
Die Ukraine wird sicherlich die Krim und die besetzten Gebiete des Donbass zurückerobern, aber nur auf friedlichem Wege. ... Die Welt braucht Frieden in der Ukraine. Frieden und Wiederherstellung der Integrität innerhalb international anerkannter Grenzen.
Und nur so und nicht anders. Und ich hoffe, niemand hält die Ukraine für einen bequemen und ewigen Puffer zwischen dem Westen und Russland, dem neuen München 2.0. Das wird nicht passieren, niemand wird es zulassen. Ansonsten – wer ist der Nächste? Müssen sich die Nato-Staaten gegenseitig verteidigen? Ich möchte glauben, dass der Nordatlantikvertrag und Artikel 5 effektiver sein werden als das Budapester Memorandum.”
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https://www.berliner-zeitung.de/welt-nationen/selenskyj-einer-von-uns-luegt-li.212932
Was bedeutet diese diplomatisch verklausulierte Formulierung im Klartext:
Selenskij fordert einen “friedlichen” Weg zur Wiederherstellung der Integrität seines Landes innerhalb international anerkannter Grenzen, zu der er die vollständige Reintegration der Krim und der Ostgebiete zählt. In JEDEM Fall werde dieses Ziel erreicht, darüber lässt Selenskij keinen Zweifel. Da es jedoch im Rahmen der aktuell wirksamen Sicherheitsordnung nur über einen weiteren Weltkrieg mit “Millionen von Opfern” erreichbar wäre, fordert er eine neue Sicherheitsordnung, in der das Budapester Memorandum abgelöst wird von einer Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO.
Das Budapester Memorandum legte aber fest, dass die Ukraine im Austausch für Sicherheitsgarantien auf Kernwaffen verzichtet. Da diese Sicherheitsgarantien von Russland verletzt worden seien, sei auch die Verzichtserklärung hinfällig und der Weg zur nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO sei damit aufgetan. Mittels der nuklearen Teilhabe könne Russland “auf friedlichem Wege” gezwungen werden, auf die Krim zu verzichten und die politische Säuberung der Ostgebiete zuzulassen, was immer das für die dort lebenden Menschen bedeutet. Über die Sicherheitsgarantien, die Russland seit langem für eben diese Menschen fordert und deren konsequente Missachtung Russland zu mancherlei Schritten veranlasst hat, darüber fällt hier kein Wort.
Fakt ist aber, dass durch den Bezug auf die Abkehr vom Budapester Memorandum sehr wohl die Stationierung von NATO-Atomwaffen auf ukrainischem Staatsgebiet thematisiert worden ist, ganz gleich, ob man das für gerechtfertigt hält oder nicht.
In deutschen Leitmedien schweigt man sich über diesen Umstand konsequent aus. Nach einigem Suchen habe ich nur etwas gefunden, das sich im offiziellen Duktus nicht direkt als “seriöse” Quelle bezeichnen lässt: https://linkezeitung.de/2022/02/21/der-ukrainische-praesident-selensky-hat-angedroht-sein-land-zur-atommacht-zu-machen/
Und was macht die Tagesschau? – Auch sie spricht nicht darüber, dass Selenskij als “friedlichen Weg” zum Erreichen seiner Ziele NATO-Atomwaffen auf Ukrainischem Staatsgebiet ins Gespräch bringt, was Russland als eines seiner Interventionsgründe nennt. Ohne Angabe von Quellen oder gar echten Beweisen behauptet sie stattdessen, es gelte, dem russischen “Mythos” zu widersprechen, die Ukraine sei “kurz davor [gewesen], sich Atomwaffen zu besorgen”.
Klingt so ähnlich, ist aber etwas ganz anderes. Eine Strohmann-Beweisführung also. Als einziges Argument dagegen reicht der Tagesschau, dass Russland “keine stichhaltigen Belege für diese Behauptung vorgelegt” hätte.
Entscheidend sei jedoch, dass das Memorandum von Budapest, das den Verzicht auf Atomwaffen regelt, durch “die Annexion der Krim und den Krieg in der Ostukraine” durch Russland (!) hinfällig geworden sei. Seine Gültigkeit – so lese ich es – sei erst durch die Rücknahme dieser Maßnahmen wieder gewährleistet. Solange Russland also etwa die Krim nicht zurück gibt, wäre es gar kein Problem und sogar nachvollziehbar, wenn auf ukrainischem Boden Atomwaffen stationiert werden. Die Tagesschau leugnet also zunächst die Beweislage für eine Behauptung und legt im nächsten Moment eine Rechtfertigung für sie bei.
Aber dabei hält sie sich nicht auf. Das Publikum hat schließlich nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne. Um hier tiefere Nachforschung abzuschneiden, wird rasch noch auf die große unschuldige Friedfertigkeit verwiesen, die in der angeblich so zurückhaltenden Bewaffnungspolitik durch die USA und ihre NATO-Verbündeten zum Ausdruck gekommen sei. Erst durch Trump, auf dessen unhaltbaren Politikstil ja auch die Tagesschau schon immer hingewiesen hat, wurde von dieser Zurückhaltung abgewichen. Und an den jüngsten Waffenlieferungen an die Ukraine ist Russland schließlich selbst schuld.
All dies schluckt der Mediennutzer en passant: Wenn nicht gerade so ein Idiot wie Trump das Weiße Haus entehrt, ist die NATO ein freundliches Verteidigungsbündnis im Dienste der 'Regelbasierten Weltordnung', niemandes Feind und keine Bedrohung für friedliche Nachbarn. Einem solchen Partner, so der Subtext, kann nicht die Bereitschaft unterstellt werden, die Ukraine atomar zu bewaffnen. Militär-industriell-medialer Komplex, Milliarden-Gewinne, Ressourcen, Interessen, Geo-Politik, Einflusssphären, Geheimdienste, inszenierte Kriegsgründe, Drohnenmorde, Fals Flag, Destabilisierung, Regime-Change und das kolonialistische Aushungern ganzer Völker mittels “Sanktionen” und Lügen, Lügen, Lügen – das sind Themen, die bitte dort betrachtet werden, wo sie hingehören, auf der Seite des Feindes.
Die Aktivitäten etwa der CIA in der Ukraine, vorangetrieben in der Obama-Präsidentschaft, schon vor dem Maidan und erst recht nach ihm, das ist natürlich kein investigatives Thema für die Tagesschau, sondern vermutlich wieder nur ein “Verschwörungsmythos”. Dabei ist diese Tatsache für Insider der Materie nicht nur eine triviale Binse, sondern auch ein zentraler Punkt des Konflikts. Und die Behauptung, es würden auch jetzt vorwiegend Verteidigungswaffen geliefert, ist eine glatte Lüge. Aber der Tagesschau geht es nicht um tiefergehende Einsicht und ein ausgewogenes Verständnis von Zusammenhängen, sondern um das “richtige” Einordnen.
Dabei wäre es wichtig gewesen zu fragen, ob Selenskijs These überhaupt zutrifft, ob also etwa der Versuch der Ukraine, die Krim mittels eines konventionellen Krieges gegen Russland in die Ukraine zurück zu zwingen, die Welt wirklich in einen globalen Konflikt führen würde, während die Drohung mit Atom-Waffen im Rahmen einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft ein sicherer Weg sei, Selenskijs Ziele gegen Russland friedlich durchzusetzen. – Diese manipulative Behauptung Selenskijs unterzieht die Tagesschau keinem Faktencheck, nicht einmal einer nüchternen Beurteilung.