Impfprivilegien
Zu dem Thema wird überall diskutiert. Die Ministerin im Radiointerview drückt auf die Bremse, sie will das erst diskutieren, wenn wir mehr wissen. Dass wir noch nicht wissen, wie lange die Impfstoffe wirken, ob sie auch die Weitergabe unterdrücken oder »bloß« die Geimpften immunisieren, das ist alles richtig. Drei Gedanken scheinen mir noch wichtiger, und ich habe sie noch von keine.r bisher gehört oder gelesen:
Seit gestern wird ja wohl geimpft. Das heißt, das Thema brennt schon. Es wird nicht erst aufkommen, wenn die Regierung Erweiterungen zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz zu diskutieren beliebt. Unternehmen und Vereine werden die ersten sein, die ihre Hausregeln aufstellen. Vielleicht ist der Plan, ein Regelungsvakuum entstehen zu lassen, in dem die Unternehmen machen können, was sie wollen? So wie die kommerziellen geselligen Netzwerke ihre Hausregeln höher schätzen als nationale und übernationale Gesetze. Es ist höchste Zeit, sich dem Thema sofort regulierend zu stellen.
Solange Impfstoffe knapp sind, reguliert vergeben werden, nach Plänen, in denen die letzten Gruppen im Dezember 2021 geimpft werden, solange der unterschiedliche Reichtum von Ländern auf die Verteilung der Impfstoffe weltweit einen so starken Einfluss ausübt, und so lange Impfreaktionen und -schäden so wenig erforscht sind (und hierzulande unter den Teppich gekehrt werden), so lange darf es keine individuellen Vorteile für die glücklichen Geimpften geben. Die Schere geht durch das Virus schon immer weiter auf, soll die Impfung sie noch weiter öffnen? Unser Ziel muss eine Herdenimmunität sein, um die aus welchem Grund auch immer Ausgerasterten zu schützen.
Die Angabe soll freiwillig sein, die Impfung soll freiwillig sein. Ich muss auch meinem Unternehmen nicht sagen, warum ich »arbeitsunfähig« bin, bloß den gelben Schein vorlegen.
Ich muss auch im Feierabend, am Wochenende und im Urlaub nicht erreichbar sein. Die schlimmsten Feind.innen dieser Freiheiten sind die Kolleg.innen, die immer sagen, welche Krankheit sie haben, und die immer erreichbar sind. Das macht die Wenigen, die ihre Rechte kennen und wahrnehmen, verdächtig.
Was wurde nicht darum gekämpft, dass Frauen auf die direkte Frage nach ihrer Schwangerschaft im Bewerbungsgespräch lügen dürfen, weil sie genau wissen, dass Schwangerschaft im Job ein Makel ist. Es ist uns freigestellt, unsere Kommunikation zu verschlüsseln oder nicht. Aber die Wirklichkeit ist, im Extremfall werden Crypto-Nerds vom Verfassungsschutz beobachtet.
Beim Thema Impfprivilegien werden die gesellschaftlichen bzw. kapitalistischen Konformitätszwänge so aussehen, mein Mitternachtsorakel: Wenn das nicht sofort geregelt wird, werden vielleicht noch dieses Jahr, vielleicht im Januar die ersten Unternehmen Leute, die sich freiwillig haben impfen lassen und freiwillig ihren Impfnachweis dem Personalbüro zeigen, als Held.innen feiern und bevorzugt arbeiten lassen.
Als erste Lohnabhängige werden Krankenpfleger.innen und Ärzt.innen geimpft. Jetzt kommen vielleicht romantische Vorstellungen auf, da werde es nicht so zugehen wie in der Industrie. Gerade unsere Krankenhäuser sind Privatunternehmen. Auch die öffentlichen Krankenhäuser agieren so, und wurden zusammengekürzt, da wird auch fleißig ausgebeutet. Und die Gesundheitsberufe sind nicht die aufmüpfigsten, die einen haben gar keine Kraft dazu übrig, die anderen profitieren überdurchschnittlich und haben traditionell weniger an Arbeitsbedingungen auszusetzen als beispielsweise Amazon-Angestellte.