Wie schwer Eisenbahnfahrzeuge sind
Die meisten Mißverständnisse in bezug auf die Eisenbahn und ihren Betrieb lassen sich – fast immer über den Bremsweg – zurückführen auf eine Sache: die Fehleinschätzung darüber, wie schwer ein Zug eigentlich ist.
Ja, wie schwer ist er denn nun, werden Sie sich fragen. Nun – das hängt vom Zug ab.
Beispiele: Wie schwer sind sie denn?
Die ungefähren Dimensionen im Personenverkehr kann ich gern mal anhand eines lokbespannten doppelstöckigen Regionalzugs erläutern.
Die Lok ist zumindest in Deutschland fast immer vierachsig und wiegt gut 80 Tonnen. Die Wagen wiegen jeweils ca. 50 Tonnen, der Steuerwagen sogar 60 – jeweils leer, also ohne Passagiere und deren Gepäck. Ein Fünfwagenzug wiegt also schon ca. 350 Tonnen – immer noch ohne Passagiere, von denen er über 500 aufnehmen kann, und deren Handgepäck, das auch schon mal Fahrräder umfassen kann. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie schwer der Zug dann im regulären Betrieb tatsächlich ist.
Wagen für den Fernverkehr wiegen „nur“ ca. 40 Tonnen (Speisewagen sind wieder ein Stück schwerer, Schlafwagen normalerweise auch) und haben weniger Kapazität, aber häufig sind die Züge auch entsprechend länger.
Der ICE 1 mit zwei Triebköpfen und zwölf Mittelwagen wiegt leer insgesamt fast 800 Tonnen, von denen auf jeden der beiden Triebköpfe je 80 Tonnen entfallen. Und das ist ein Hochgeschwindigkeitszug, der für 280 km/h zugelassen ist. Ein französischer TGV Réseau (300 km/h) wiegt mit ebenfalls zwei Triebköpfen und einer achtgliedrigen Mittelwageneinheit knapp 400 Tonnen, fährt aber häufig in Doppeltraktion für mehr Kapazität. Beim ICE 3 (330 km/h) verteilt sich der Antrieb über den ganzen Acht-Wagen-Zug, es gibt also keine Triebköpfe, aber bei etwa gleicher Länge wie die meisten TGV wiegt er pro Einheit noch einmal 100 Tonnen mehr. Und darin sind jeweils die zig Tonnen an Passagieren nebst Gepäck noch nicht eingerechnet.
Stabil und einfach zu reparieren
Bei Reisezugwagen hat das hohe Gewicht mehrere Gründe. Der erste ist natürlich die Stabilität. Der Wagen ist Zugkräften ausgesetzt, er ist Stoßkräften ausgesetzt – besonders seit mehr und mehr lokbespannte Züge als Wendezüge verkehren, also auch mal geschoben werden –, und auch die Schienen, auf denen er läuft, sind nicht perfekt gerade und glatt, so daß es auch einiges an schnell und ständig auftretenden Quer- und Vertikalkräften gibt. Diese Kräfte gibt es bei Autos und Flugzeugen kaum bis gar nicht – die Längskräfte schond deshalb nicht, weil Autos und Flugzeuge nicht in Züge eingestellt werden, wo vorne und hinten ständig irgendetwas zieht und drückt. Flugzeuge haben überhaupt nie Anhänger und Autos höchstens einen. Und diese Kräfte haben Laufwerk, Untergestell und Wagenkasten jahrzehntelang auszuhalten. Da kommt nur klassischer Stahlbau in Frage.
Sollte doch einmal etwas passieren, muß das relativ einfach zu reparieren gehen, und zwar in bahneigenen Werken (ehemals Ausbesserungswerken). Stellen Sie sich einmal einen Reisezugwagen vor, bei dem ein Flankenfahrtschaden repariert werden muß. Ein No-Nonsense-Stahlkasten mit tragendem Untergestell läßt sich noch wieder flicken, denn normalerweise ist der Rahmen stabil genug, daß es mehr als eine Flankenfahrt braucht, um ihn zu lädieren.
Wenn aber der Wagenkasten ein superleichtes, komplett selbsttragendes, bis zum Gehtnichtmehr gewichtsoptimiertes Kohlefaser-Monocoque wäre, könnte man den ganzen Wagenkasten entsorgen (und der ist gut 26 m lang, fast 3 m breit und mindestens 3 m hoch) und für viel Geld einen neuen backen lassen. Pech, wenn der Hersteller des Wagens für genau diese Wagenkastenbauform (und das schließt Türen, Fenster, Lüfter etc.) die Formen nicht mehr hat, weil er für die jeweilige Bahngesellschaft schon alle Wagen ausgeliefert hat. Dann kann man den ganzen Wagen vergessen, dann gibt’s nämlich keinen Ersatz.
Natürlich könnte man Wagenkästen theoretisch auch im 3D-Druck herstellen und sie noch mehr im Gewicht optimieren. Dann könnte man sie auch jederzeit nachbauen, sofern die Druckdaten noch vorhanden sind. Aber man bräuchte immens große 3D-Drucker. Und man bräuchte viel Zeit dafür. An dieser Stelle seien noch einmal die Abmaße eines Reisezugwagenaufbaus ins Gedächtnis gerufen. Bei einem Wagen würde es schon lange genug dauern – und jetzt stellen wir uns einmal vor, mehrere hundert davon müssen produziert werden oder gar mehrere tausend. Bestellungen in solchen Größenordnungen sind durchaus nichts Ungewöhnliches.
Bei Steuerwagen ist die Reparabilität noch wichtiger, weil sie kollisionsgefährdet sind, wie sich immer wieder gerade an Bahnübergängen zeigt.
Im Vergleich zum Flugzeug
Die „selbsttragende Leichtbauröhre“ aus dem Flugzeugbau läßt sich übrigens auch deshalb schwerlich auf die Eisenbahn übertragen, weil sie den Innenraum viel kleiner macht. Bei der Eisenbahn ist ja die maximale Breite der Fahrzeuge vorgegeben im Rahmen des sogenannten Lichtraumprofils. Das ist eine Art Querschnitt, den Eisenbahnfahrzeuge – inklusive Ladung im Güterverkehr – nicht überschreiten dürfen, weil außerhalb dieses Querschnitts mit anderen Objekten zu rechnen ist, z. B. Signale, Tunnelwände, Gebäude, Stützmauern, Bahnsteigkanten, Hallentore oder Brücken über nicht elektrifizierte Gleise.
Als Autofahrer kennt man das mit Sicherheit in Form von Durchfahrten mit maximaler Durchfahrtsbreite oder auch Unterführungen oder Parkhauseinfahrten mit maximaler Durchfahrtshöhe. Für Straßenfahrzeuge gelten solche Beschränkungen zumeist nur punktuell, bei der Eisenbahn zumindest in Europa gelten sie generell.
Beim Flugzeug wiederum steht nichts links und rechts der Flugroute, womit das Flugzeug kollidieren würde, wenn es zu breit wäre, und durch Tunnels mit begrenztem Querschnitt wird auch nicht geflogen. Selbst wenn etwas im Wege wäre, wäre es den Tragflächen oder dem Leitwerk im Weg und nicht dem Rumpf. Allenfalls gibt es Beschränkungen in der Gesamtlänge und der Tragflächenspannweite, damit die Flugzeuge auf Flughäfen noch in gewisse „Boxen“ passen. Je größer die Box ist, desto höher fällt die Flughafengebühr aus, und desto geringer ist die Auswahl an Gates, die genutzt werden können, und größere Boxen als 80×80 m gibt es in der zivilen Passagierluftfahrt nicht, was den Bau von „Superjumbos“ limitiert.
Wenn man also den Rumpf eines Flugzeugs stabiler konstruieren will, kann man einen Innendurchmesser zugrundelegen und von da nach außen gehen. Mehr Stabilität bedeutet mehr Außendurchmesser bei gleichem Innendurchmesser. Zwischen den Innenverkleidungen und der Außenhaut hat man fast unbegrenzt viel Platz zur Verfügung.
Bei der Bahn hat man aber dieses Lichtraumprofil, und das muß tunlichst ausgereizt werden. Wenn man also einen selbsttragenden Wagenkasten konstruiert, muß die ganze tragende Struktur „nach innen“ gebaut werden, und je mehr davon gebraucht wird, desto mehr engt das den Wagenkasten ein. Extremer Leichtbau erfordert eigentlich auch einen runden Rumpfquerschnitt, aber eine vernünftige Raumausnutzung bei der Eisenbahn erfordert zwischen Boden und Decke einen möglichst rechteckigen Querschnitt, um das Lichtraumprofil möglichst gut auszunutzen.
Konkretes Beispiel wäre der japanische Shinkansen. Der hat tatsächlich ein Lichtraumprofil mit sehr hohen Ecken und somit sogar bei Doppelstockwagen einen rechteckigen Wagenkastenquerschnitt. Die Serie 500 hat man aber aus irgendeinem Grunde mit einem annähernd runden Wagenkastenquerschnitt gebaut. Nicht nur waren die Züge horrende teuer (wohl auch wegen der vielen großen gebogenen Bleche), sondern in ihren Innenräumen geht es deutlich beengter zu als in den anderen Shinkansen. Alle anderen Shinkansen sind von oben bis unten überall 3,40 m breit; die Serie 500 ist nur irgendwo in der Mitte 3,40 m breit und wird nach oben und unten immer schmaler und enger. So sind sie bei den Passagieren unbeliebt. Nur zehn Einheiten wurden gebaut, die meines Wissens ihre Kosten nie erwirtschaftet haben, weil damit einfach kaum jemand fahren wollte. Die Serie 700 wurde wieder rechteckig.
Züge bedeuten hohe Belastung
Im Vergleich zum Pkw, Omnibus oder Flugzeug müssen Eisenbahnfahrzeuge noch aus einem anderen Grunde stabiler gebaut werden: Sie müssen nicht nur die eigenen Kräfte aushalten, sondern auch die weiterer angehängter Fahrzeuge. Das heißt, jeder Wagen muß die Zugkräfte eines ganzen Zuges aufnehmen können, ebenso die Druckkräfte beim Bremsen oder im geschobenen Wendezugbetrieb. Ein Airbus muß dagegen nicht in der Lage sein, mehr als ein Dutzend weitere Airbusse zu ziehen, ohne daß der Rumpf dabei Schaden nimmt.
In der Vergangenheit der deutschen Eisenbahnen gab es schon so manches Mal reale Probleme mit exzessivem Leichtbau. Anfang der 1950er Jahre etwa beschaffte die Bundesbahn Schienenbusse in extremer Leichtbauweise, bei denen 150 PS ausreichten, um einen Schienenbus nebst Beiwagen auf 90 km/h zu beschleunigen. Die Fahrzeuge hatten aber Spezialkupplungen, die zu nichts anderem paßten. Dann wollte man eine neue Variante bauen mit zwei Motoren, 300 PS, normalen Schraubenkupplungen und Seitenpuffern, um auch andere Fahrzeuge ziehen zu können. Dafür mußten die Fahrzeuge aber verstärkt werden, weil die erste Ausführung nicht stabil genug war.
Ein anderes Beispiel waren die vierteiligen, 13achsigen Doppelstockeinheiten der Reichsbahn, die es auch mit Führerstand für den Wendezugbetrieb gab. Im Rostocker Vorortverkehr reichte eine davon bald nicht mehr aus. Es durften aber nicht zwei davon geschoben werden, weil man Angst hatte, daß die an zweiter Stelle laufende Einheit zwischen der vorauslaufenden Einheit und der Lok beim Beschleunigen zerdrückt würde. So mußte die Lok in der Mitte laufen und immer eine Einheit ziehen und die andere schieben. Bei diesen Wagen waren tatsächlich die Griffstangen an den Einstiegstüren und die Gepäckablagen im Innenraum tragende Teile. Es wurden im planmäßigen Verkehr bis zu vier dieser Einheiten gezogen, darauf waren sie ausgelegt. Aber die Variante mit Führerstand war nicht von Anfang an vorgesehen und kam erst später dazu, so daß die Wagen nicht für schweren Schiebeverkehr konstruiert waren. Nicht grundlos setzte die Reichsbahn ab den 70ern bei neuen Doppelstockwagen auf sehr viel stabilere vierachsige Einzelwagen, die kein Problem damit hatten, wenn im Berliner „Sputnik“-Verkehr acht davon geschoben wurden.
Masse bringt Fahrkomfort
Der zweite Grund, warum Reisezugwagen so schwer sind, wie sie sind, sind die Laufeigenschaften. Das läßt sich (noch) ziemlich einfach nachvollziehen. Steigen Sie in Stuttgart Hbf einfach mal in einen Doppelstockzug und fühlen Sie, wie ruhig ein 50 Tonnen schwerer Doppelstockwagen Typ Bombardier Do2000 läuft. Dann steigen Sie in einen „Buntling“ (einen modernisierten „Silberling“ aus den 50er bis 70er Jahren), der keine 30 Tonnen wiegt, und fühlen Sie, wie vergleichsweise zappelig der Wagen ist. Durch die hohe Masse hat der Wagenkasten eine hohe Trägheit und läßt sich durch Gleisunebenheiten weniger leicht aus der Ruhe bringen.
Noch schwerer sind Luxuswagen, wie sie die CIWL bis in die 1930er Jahre für Züge wie den Orient-Expreß beschaffte. Solche Züge mußten nicht so schnell wie möglich fahren und schon gar nicht schnell spurten, hatten sie doch nur sehr wenige Zwischenhalte. Aber sie mußten so komfortabel wie möglich sein. Ähnliche Wagen wurden auch in Deutschland beschafft. Anfangs gab es nur die Schlaf- und Speisewagen der Mitropa, aber nachdem die CIWL den tagsüber verkehrenden Sud-Express in Frankreich mit seinen Pullman-Wagen eingeführt hatte, führte auch die Reichsbahn mit dem Rheingold einen Tageszug mit entsprechend luxuriösen und schweren Salonwagen ein.
Schwerer ist sicherer
Nicht nur sind schwere Wagen komfortabler, sondern sie laufen bei höheren Geschwindigkeiten auch sicherer. Noch weniger als ein Auto kann ein Schienenfahrzeug es sich erlauben, daß bei einer Gleisunebenheit kurzzeitig ein Rad den Kontakt mit der Schiene verliert. An dieser Stelle sei erwähnt, daß es bei der Eisenbahn keine Mehrlenkerachsen mit Einzelradaufhängung wie beim Pkw gibt, sondern nur Starrachsen, fast ausnahmslos sogar solche, bei denen beide Räder fest auf die Achswelle gepreßt sind. Immerhin reden wir hier von Fahrwerken, wo ein einzelnes Rad die Masse von mehreren Pkw trägt. Dazu kommen die sehr viel größeren Wartungsintervalle als beim Pkw und gerade im Personenverkehr die Verantwortung über Leib und Leben von sehr viel mehr Menschen als beim Pkw. Und auch im Lkw- und Omnibusbau werden bis heute keine Fahrwerke aus der Formel 1 verbaut.
Mit dem ständigen Kontakt mit der Schiene steht und fällt auch die seitliche Führung des Fahrzeugs. Sie können gern zum nächsten Bahnhof gehen und sich selbst davon überzeugen: Bei der „richtigen“ Eisenbahn sind die Spurkränze an den Rädern nicht so monströs groß wie die „Pizzaschneider“, die Sie sie vielleicht von Ihrer alten Märklin- oder Minitrix-Eisenbahn kennen, sondern keine Hand breit. Hebt nun in einer Kurve ein kurvenäußeres Rad für einen Sekundenbruchteil nur ein paar Zentimeter hoch ab, steigt dessen Spurkranz über die Schiene, und der Radsatz entgleist und damit womöglich in einer Kettenreaktion der halbe Zug. Je schneller der Zug ist, desto gravierender sind die Auswirkungen. Deswegen dürfen gerade Hochgeschwindigkeitszüge nicht extrem leicht gebaut werden – im krassen Gegensatz zum Sportwagenbau.
Was das Bahnfahren angenehm macht, wiegt
Als vierter Grund kommt die Innenausstattung hinzu. Leichtbau gibt es da nur in Regionaltriebwagen und auch da nur, um bei den vielen Zwischenhalten die Beschleunigung zu verbessern. Selbst in denen sind die Führerstände und die 1.-Klasse-Großräume immer noch mit Echtglas abgetrennt. Die Toiletten sind im Gegensatz zur Luftfahrt nicht im Ultraleichtbau ausgeführt, auch um robuster zu sein.
Im Fernverkehr und somit auch in Hochgeschwindigkeitszügen spielt der Komfort eine größere Rolle. Inzwischen findet man in Fernzügen fast überall Teppichböden, die ja neben komfortabler Anmutung auch eine schalldämmende Wirkung haben, nur wiegen sie eben einiges. Sitze müssen besser gepolstert sein, weil Passagiere länger darin sitzen. Es gibt meistens zusätzliche Gepäckablagen über den Sitzen. Häufig kommen bei Vis-à-vis-Sitzgruppen in Großraumwagen (die gerade in der Schweiz sehr populär sind) feste Tische hinzu, im Zugrestaurant sowieso. Letztere haben dann auch noch die Theken- und Küchenausstattung nebst Vorratshaltung in einer ganzen Anzahl an Kühlschränken. Und obwohl gerade europäische Bahngesellschaften immer wieder zu Versuchen neigen, vor allem Fernzüge innen dem Flugzeug immer ähnlicher zu machen, ist das Abteil mit seinen Zwischenwänden und seiner verglasten Gangwand nicht auszurotten.
Ich will es einmal so formulieren: Kaum jemandem dürfte es zuzumuten sein, fünfeinhalb Stunden lang zwischen Hamburg und Stuttgart in einer nackten Metallröhre ohne jegliche Innenverkleidungen auf einem Klappstuhl, Monoblock-Gartenstuhl oder Rennschalensitz ohne Polster zu sitzen. Junge Leute bis Anfang 20 mögen nicht einmal ein Problem damit haben, die Strecke ohne jegliches Sitzmobiliar zu fahren und sich einfach auf den Metallboden oder eine mitgebrachte Isomatte zu setzen. Aber in fortgeschrittenem Alter hat man Komfortansprüche, und in diesem fortgeschrittenen Alter findet man zahlungskräftige Langstrecken-Vielfahrer noch am ehesten.
Bei Loks ist Masse = Traktion
So, warum sind nun Loks (und ICE-Triebköpfe) noch schwerer? Nun, auch hier spielt die Stabilität eine Rolle, denn so eine Lok muß ja die Zug- und Stoßkräfte eines ganzen Zuges aufnehmen, und das kann auch mal ein mehrere tausend Tonnen schwerer Güterzug sein, der bei einer Schnellbremsung aufgrund der langsam ansprechenden Bremsen mit fast seiner ganzen Masse auf die Lok aufläuft. Ebenso muß sie leicht zu reparieren sein, denn vor allem neigen Loks eher zu Schäden als Wagen, und sie sind ggf. teurer zu ersetzen. Außerdem muß eine Lok ihre eigene Antriebskraft aushalten ohne Verwindungen.
Der Antrieb bringt aber noch einen anderen Faktor ins Spiel: Traktion. Die Leistung muß ja in Vortrieb umgesetzt werden, und moderne vierachsige Elektroloks leisten auch schon mal bis zu 6.400 kW (das entspricht 8.700 PS). Die sind zwar auf allen Achsen angetrieben, aber sie laufen nicht mit luftgefüllten Gummireifen auf Asphalt, sondern mit harten, blanken, glatten und obendrein sehr schmalen Stahlrädern auf ebensolchen Schienen. Wenn man sich das so vor Augen führt, ist es fast schon ein Wunder, daß damit überhaupt Leistung übertragen werden kann.
Damit das geht, muß entsprechend viel Gewicht auf den Rädern lasten. Das wird bis an die Grenzen des Erlaubten ausgereizt. Die meisten Hauptbahnen sind heutzutage ausgelegt auf Achslasten von bis zu 22,5 Tonnen. Bei einer vierachsigen Lok entspräche das 90 Tonnen. Tatsächlich wiegen vierachsige Streckenloks jüngeren Datums meistens 84–86 Tonnen. Die Erzbahnen in Lappland sind sogar zugelassen für mindestens 30 Tonnen Achslast. Da fahren zwölfachsige Doppelloks, die das Limit voll ausreizen und 360 Tonnen wiegen. Nur so können sie das ganze Jahr über bei jeglicher Witterung mehr als 8.000 Tonnen schwere Erzzüge ziehen. Ein weiterer Effekt der schweren Stabilbauweise ist, daß die Loks ohne nennenswerte Blessuren davonkommen, wenn sie aus voller Fahrt einen tiefgefrorenen Elchkadaver rammen, der im Gleis liegt (auch wenn das nur 60 km/h sind, aber fahren Sie mal mit ihrem Pkw mit 60 Sachen gegen einen tiefgefrorenen toten Elch – das überlebt auch ein alter Volvo nicht).
Ältere Leser, die noch eine Zeit erlebt haben, als es noch Echte Winter™ gab und heckgetriebene Pkw ohne Traktionskontrolle dominierten, werden diese Phänomen vielleicht kennen. Damals war es im Winter nicht unüblich, wenn man einen Hecktriebler fuhr, z. B. zwei Sandsäcke in den Kofferraum zu legen. Damit lastete mehr Masse auf den angetriebenen Hinterrädern, und die bekamen dadurch auf den verschneiten oder vereisten Straßen mehr Grip.
Im Güterverkehr: Wirtschaftlichkeit wiegt schwer
Bei Güterwagen ist neben Stabilität und Reparabilität der dritte Grund für ihr hohes Gewicht die Fracht. Je mehr davon ein Güterwagen auf einmal transportieren kann, desto mehr erwirtschaftet er. Häufig wiegt die Ladung sogar noch mehr als der Wagen selbst. Die Lastgrenzen werden nur dann nicht ausgereizt, wenn schon vorher die Ladelänge, die Ladefläche oder der Laderaum des Wagens voll ausgenutzt ist oder der Wagen leer fährt. Selbst wenn man einen Güterwagen eine oder zwei Tonnen leichter bauen könnte, was man meist eh nicht mehr kann, würde der dann mit einer oder zwei Tonnen mehr Ladung beladen. Während bis in die 1920er Jahre die maximale Zuladung vieler zweiachsiger Wagen wegen ihrer nur geringen Tragkraft auf 15 Tonnen beschränkt war, resultiert die Beschränkung heute aus der maximal zulässigen Streckenachslast. Vierachsige Güterwagen können mitsamt Ladung heutzutage fast immer bis zu 90 Tonnen wiegen, egal, wie schwer der Wagen selbst ist.
Auch die Güterzüge selbst werden so lang und schwer gebildet wie möglich und sinnvoll. Beschränkt werden sie in der Länge in erster Linie durch die Länge der Bahnhofsgleise, die sie befahren (in Deutschland meistens bis zu 740 m, von Maschen nach Flensburg sogar 835 m wie in Skandinavien); schwere Massengutzüge haben als Limit außerdem entweder die 4.000 Tonnen an Zugmasse, die der klassischen Schraubenkupplung in der Ebene bzw. auf leichten Steigungen maximal zugemutet werden kann, oder bei Verwendung automatischer Kupplungen die Zugkraft der Lok(s). Auch hier wieder sind längere Züge wirtschaftlicher, weil jede Zugfahrt auch unabhängig von der Masse gewisse Kosten hat, und sie lasten die Strecken weit weniger aus als viele kürzere Züge. Das führt aber dazu, daß sogar ein schneller Containerzug nicht selten die 2.000-Tonnen-Marke sprengt.
Tatsächlich gelten Güterzüge im Container- oder Intermodalverkehr unter 1.600 Tonnen in Deutschland als unwirtschaftlich. Deswegen wird die eigentlich auch als Entlastungsstrecke für den Güterverkehr vorgesehene Neubaustrecke zwischen Ebensfeld und Erfurt kaum Güterverkehr sehen: Auf den 20-‰-Steigungen können Züge über 1.200 Tonnen nicht mehr anfahren, wenn sie dort aus welchem Grunde auch immer zum Halten gekommen sind. Genau so etwas sollte da aber vornehmlich fahren.
Vom Gedanken, Güterzüge drastisch abzuspecken, kann man sich also verabschieden. Wenn, dann werden sie zukünftig sogar eher noch schwerer.
Fazit
Auch wenn man es als reiner Flieger und Autofahrer nicht akzeptieren will, weil man es vom Flugzeug und Pkw „anders kennt“: Eisenbahnfahrzeuge sind schwer und bleiben es auch – aus den oben genannten Gründen.
Man kann es abstreiten und weiterhin alles vom Auto und vom Flugzeug auf die Eisenbahn umdeuten – es ist und bleibt falsch. Man kann vehement kurzfristige radikale Änderungen dahingehend fordern, weil ja angeblich „die Technologie schon lange da“ sei – selbst wenn dem so wäre, wäre sie trotzdem auf den harten Eisenbahnalltag mit hoher Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit nicht anwendbar.
Das bringt alles nichts. Gewisse Dinge werden sich nicht ändern. Dazu zählt, daß Züge sehr, sehr schwer sind.