Automatische Kupplungen und warum Europa noch nicht darauf umgestellt hat
Europa gilt als eisenbahntechnisch sehr fortschrittlich. Hier werden für die halbe Welt Hochleistungslokomotiven, Hochgeschwindigkeitszüge, komfortable konventionelle Fernreisezüge, Vorort- und Nahverkehrstriebwagen und so weiter produziert.
In einem Punkt aber hinkt man hier der Welt hinterher: bei den Kupplungen. Fast überall auf der Welt haben sich längst flächendeckend automatische Kupplungen durchgesetzt, und zwar auch bei lokbespannten Zügen. Seitenpuffer hat man abgeschafft oder gar nicht erst eingeführt, weil die Kupplungen auch Stoßkräfte aufnehmen können.
Bei uns gibt es automatische Kupplungen nur bei Triebwagen und in besonderen Fällen, beispielsweise bei sehr schweren Zügen, denn unsere komplett handbedienten Schraubenkupplungen von Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sogar in der Ebene keine höheren Zugmassen zu als 4.000 Tonnen. Ansonsten dominiert bei lokbespannten Zügen diese Schraubenkupplung. Beim Kuppeln muß entweder jemand am stehenden Fahrzeug stehen, während ein anderes Fahrzeug auf ihn zugerollt kommt, oder unter den Puffern hindurchkriechen, um dann die Kupplungen per Hand zu verbinden. Beim Entkuppeln ist das Kriechen immer notwendig – außer vielleicht an Ablaufbergen, wo die Kupplungen mit einer langen Stange ausgehängt werden. Machen wir uns nichts vor: Das ist vorsintflutlich und für das Personal nicht nur unbequem, sondern vor allem beim Kuppeln gefährlich.
Noch dazu dauert es ewig, denn mit dem Einhängen der Kupplungskette in den gegenüberliegenden Haken ist es nicht getan. Die Kette muß in der Länge zurechtgeschraubt werden, vor allem bei Reisezügen. Und dann müssen ein oder zwei Bremsschlauchpaare per Hand verbunden werden, die Lufthähne müssen geöffnet werden, etwaige Kabel müssen verbunden werden. Beim Entkuppeln läuft alles umgekehrt ab und geht auch nicht schneller.
Um diese Probleme weitestgehend auszumerzen, gibt es schon seit den 1920er und verstärkt seit den 1950er Jahren in Europa Bestrebungen, die Schraubenkupplungen und Seitenpuffer endlich durch automatische Kupplungen zu ersetzen, die auch die Stoßkräfte aufnehmen sollen. Dazu ist es bis heute nicht gekommen.
Denn eine der Kernfragen war und ist: Was für Kupplungen soll man nehmen?
Sehen wir uns einmal ein paar Kupplungstypen an. Dann wird auch klar, warum wir bis heute nicht umgestellt haben.
Die Janney-Kupplung
Die amerikanische Janney-Kupplung gibt es schon seit mehr als 150 Jahren. Sie wurde benannt nach ihrem Erfinder Eli Janney. Damals hat sie sich vor allem in ganz Nordamerika durchgesetzt, wo heute damit im Vergleich zu Europa absurd schwere Güterzüge von teilweise vier und noch mehr Dieselloks gezogen werden, die häufig jeweils stärker sind als die stärkste „Ludmilla“. Im Massengutverkehr werden mitunter Züge von 20.000 Tonnen gefahren ohne Zwischen- oder Schubloks, und im Intermodalverkehr sind mehrere Kilometer Zuglänge normal. Die Zug- und Stoßkräfte, die die Janney-Kupplung aufzunehmen vermag, sind extrem hoch.
Für den Personenverkehr ist sie wegen ihres Längsspiels weniger geeignet: Beim Anfahren müssen die Kupplungen erst „langgezogen“ werden, was zu einem Ruck beim Anrollen des Wagens führt. Beim Bremsen gibt es einen ähnlichen Ruck, wenn die Kupplungen wieder gestaucht werden. Bei unseren Schraubenkupplungen passiert das deshalb nicht, weil Reisezugwagen immer unter Vorspannung gekuppelt werden, so daß in der Geraden alle vier Puffer aneinandergedrückt sind.
Ein weiterer Nachteil der Janney-Kupplung ist, daß sie nicht immer auch Leitungen mitkuppelt. Klassische Janney-Kupplungen, die von der AAR als „Type E“ bezeichnet wird, können nämlich in der Höhe ein ganzes Stück gegeneinander verschoben werden. Das macht die Aufnahme der Kupplung am Fahrzeug in einem einfachen Drehgelenk möglich, aber nicht das Kuppeln von Leitungen. Damit hat man eine mechanisch einfache, damit billige und gleichzeitig sehr robuste Kupplung, aber Bremsschläuche etc. müssen immer noch per Hand gekuppelt werden.
Erst später erschien mit der „Type F“ eine Variante für Reisezüge mit stark verringertem Längsspiel, Höhenspielbegrenzung (die allerdings auch vertikal ausschwenkbare, selbstrückstellende Kupplungsköpfe erforderlich machte) und integrierten Leitungskupplungen.
Der größte Nachteil gegenüber anderen automatischen Kupplungen ist, daß die Janney-Kupplung eben nicht ganz automatisch ist. Vorm Kuppeln muß immer einer der beiden Kupplungsköpfe mechanisch entriegelt werden. Daher fällt meistens auch das händische Kuppeln von Leitungen nicht mehr ins Gewicht.
Außer in Nordamerika findet man die Janney-Kupplung an vielen Orten der Welt, vor allem in Ostasien – inklusive China, das seinerzeit auf gar keinen Fall sowjetische Kupplungen haben wollte – und im südlichen Teil Afrikas, wo sie ihre Stabilität etwa in den sagenhaft langen und schweren Erzzügen zwischen Sishen und Saldanha Bay (wobei da mit zwei Zug-, zwei Schub- und vier Zwischenloks gefahren wird, aber theoretisch sollen die Züge in der Lage sein, bei Ausfall der Oberleitung mit einer Zug- und zwei Zwischenloks und mit 114 Wagen und zwei toten Loks ohne Nachschub zu fahren) unter Beweis stellen kann.
In Großbritannien ist die Janney-Kupplung kurioserweise ausgerechnet im Reisezugverkehr und bei Triebwagen seit Jahrzehnten Standard, im Güterverkehr dagegen nicht. Und auch bei britischen Reisezugwagen sind sie klappbar ausgeführt, weil die Wagen natürlich weiterhin mit Loks mit Schraubenkupplungen kuppelbar sein mußten. Zusätzlich können die Seitenpuffer zurückgezogen werden, damit zwischen den Wagen die Janney-Kupplungen auch die Stoßkräfte aufnehmen. Auch belgische Triebwagen haben „Type F“-Kupplungen – allerdings nur an den Führerstandsenden; die vier Wagen eines AM75 beispielsweise sind untereinander immer noch mit Schraubenkupplungen und Seitenpuffern verbunden.
In Deutschland gab es sie nur bei zwei Schmalspurbahnen, darunter im Personenverkehr auf der Strecke Eisfeld–Schönbrunn, die 1949 in der DDR landete – im Güterverkehr setzte man Rollwagen und herkömmliche Trichterkupplungen ein. Mit Einstellung des Personenverkehrs 1967 konnte man sich dort endlich der Kupplungen vom „kapitalistischen Klassenfeind“ entledigen.
Die Scharfenberg-Kupplung
Die Scharfenberg-Kupplung stammt aus Deutschland und wurde kurz nach der Jahrhundertwende vorgestellt. Die Schaku hat als Vorteile, daß sie praktisch kein Längsspiel hat und alles Mögliche an Leitungen mitkuppeln kann von Luftleitungen für die Bremse bis hin zu Steuerleitungen und Datenbussen; einzig Hochspannungsleitungen, die ohnehin normalerweise im oder auf dem Dach verlegt sind, kann sie nicht übertragen. Obendrein ist sie vom Führerstand aus ferngesteuert entkuppelbar, also vollautomatisch. Damit ist sie für Triebwagen prädestiniert und wird vor allem da verwendet. Im Gegensatz zu den meisten anderen automatischen Mittelpufferkupplungen kann die Schaku sogar elektrische Heizleitungen kuppeln, wobei davon meistens nicht Gebrauch gemacht wird, weil Triebwagen, das Haupteinsatzgebiet der Schaku, Eigenheizungen haben.
Ihr Nachteil ist allerdings ihre geringe Belastbarkeit: Sogar in der Ebene kann an einer Schaku nur eine Gesamtmasse von 1.000 Tonnen hängen. Mitte der 1920er hat man sie ausgerechnet im schweren Kohlenverkehr mit neuen vierachsigen Selbstentladern getestet. 1.000 Tonnen entsprachen bei 18 Tonnen Achslast gerade mal 13 Wagen. Bei der Reichsbahn tauchte sie folglich erst wieder Mitte der 30er bei den Dieselschnelltriebwagen, den Dieseltriebwagen vom Typ „Ruhr“ und dem Henschel-Wegmann-Zug auf. Im lokbespannten Verkehr sieht man die Schaku heute höchstens noch bei Schmalspurbahnen, etwa in Sachsen, wo sie einfache Trichterkupplungen ersetzt hat, und bei Notfallschlepploks für Hochgeschwindigkeitszüge.
Ein weiterer Nachteil ist, daß Scharfenberg-Kupplungen auf Umwelteinflüsse empfindlich reagieren, etwa Verschmutzung und vor allem Eis und Schnee. Elektrische und optische Verbindungen werden bei Nichtbenutzung abgedeckt, aber diese Abdeckungen können vereisen. Noch schlimmer wirkt sich Eis oder fester Schnee im Kupplungstrichter aus, denn dann lassen sich Scharfenberg-Kupplungen auch mechanisch nicht mehr verbinden. Deswegen sieht man es häufig bei Triebwagen, daß die Schaku mit einer Haube abgedeckt ist, wenn sie einige Zeit nicht gebraucht wird. Außerdem kann die Schaku mittels sowieso angeschlossener Druckluft freigeblasen werden, zumindest in der Theorie.
Bei moderneren Straßenbahnen und bei Hochgeschwindigkeitszügen verschwindet die Schaku bei Nichtbenutzung hinter einer Bugklappe. Wenn die aber gestört und in offener Position festgelegt ist, weil der Eigner des Fahrzeugs die Funktionsfähigkeit der Bugklappe nicht als notwendig erachtet, und das Zugpersonal dann nicht angewiesen wird, den Zustand der Kupplung zu überprüfen, und sich wie gehabt blindlings aufs Funktionieren verläßt, kommt es gerade im Winter beim Vereinigen zweier Zugteile immer wieder zu Problemen bis zum Ausfall beider Halbzüge, weil niemand die Vereisung einer der beiden Kupplungen als Ursache für die Probleme beim Kuppeln in Erwägung zieht.
Es gibt auch noch die sehr ähnliche, aber wesentlich neuere und in Teilen fortschrittlichere GFV-Kupplung vom +GF+-Schöpfer Georg Fischer, die dieselben Vorteile hat, aber auch dieselben Nachteile.
Die SA-3-Kupplung
Die SA-3-Kupplung stammt aus der Sowjetunion. Sie geht zurück auf die Anfang der 1920er aufgekommene Idee, es in Europa den Amerikanern gleichzutun und die Schraubenkupplungen aus dem 19. Jahrhundert endlich durch automatische Mittelpufferkupplungen zu ersetzen. Die Scharfenberg-Kupplung war ja gerade erst kläglich im Kohlenverkehr gescheitert, auch wenn sie später bei Triebwagen in Mehrfachtraktion brillieren sollte.
Es gab aber auch noch die Willison-Kupplung, die in Deutschland im Massengutverkehr getestet worden war und obendrein bei einigen Pariser Vorortzügen und beim Vorgängerverkehr der Berliner S-Bahn im Einsatz war, bevor man sich dann doch für die Schaku entschied. Auf der Basis wollte die UIC eine europaweit einheitliche Kupplung entwickeln. 1928 fing man damit an, aber weil immer neue Anforderungen dazukamen, die sich in der Summe letztlich überhaupt nicht mehr alle zusammen realisieren ließen, kam dabei nichts heraus. Kurzerhand entwickelte die Sowjetunion, wo man nicht länger warten wollte, ihre eigene Kupplung – die SA-3. Ab 1935 wurde sie eingeführt, erst 1957 war die Umstellung des gesamten sowjetischen Rollmaterials abgeschlossen.
Während die SA-3 – wie auch schon die Willison-Kupplung – sehr viel höhere Kräfte zuläßt als Schraubenkupplungen und Seitenpuffer, ist sie aber nicht frei von Nachteilen. Einer davon ist das bei für Güterzüge geeigneten automatischen Mittelpufferkupplungen übliche Längsspiel, das ja auch bei der Janney-Kupplung problematisch ist. Bei der SA-3 verzichtete man auf die Entwicklung einer Variante für Reisezüge. Statt dessen behielt man bei Reisezugwagen einfach die Puffer bei und richtete Kupplung und Puffer so aus, daß die Puffer im gekuppelten Zustand bei gestreckten Kupplungen auf der Geraden immer unter leichter Vorspannung stehen. Damit entfallen aber sämtliche Vorteile von Mittelpufferkupplungen gegenüber der Verwendung von Puffern.
Ein weiterer Nachteil der SA-3 ist, daß es auch keine Variante gibt, die Leitungen mitkuppeln kann. Im Gegensatz zur Janney-Kupplung kuppelt die SA-3 automatisch ohne händische Vorbereitung, was eigentlich ein Vorteil ist. Aber hinterher müssen immer noch die Bremsschläuche und, so vorhanden, Lautsprecherleitungen, Steuerleitungen o. ä. per Hand gekuppelt werden. Beim Entkuppeln läuft das Ganze im Prinzip umgekehrt ab, nur daß die Kupplungen am Ende per Hand getrennt werden müssen.
Die SA-3 ist zwar zur Willison-Kupplung kompatibel, was aber keine große Rolle spielt angesichts der geringen Verbreitung der Willison-Kupplung. Schwerer wiegt, daß es beim Kuppeln mit Fahrzeugen mit Schraubenkupplung einer sogenannten Gemischtkupplung bedarf, die in den SA-3-Kupplungskopf geschoben wird und natürlich auch nur dann verwendet werden kann, wenn beide Fahrzeuge Seitenpuffer haben. Selbst wenn man eine Gemischtkupplung zur Hand hatte, gab es lange Zeit die Hürde, daß diese Gemischtkupplungen im allgemeinen nur im Rangierdienst zugelassen waren. Jahrzehntelang bildete Finnland die einzige Ausnahme, wo alle Loks SA-3-Kupplungen haben, um russische Züge ohne Umbauten ziehen zu können, aber der gesamte Wagenpark Schraubenkupplungen hat. Nicht nur führen Loks dort immer Gemischtkupplungen mit sich, sondern diese sind auch seit jeher im Streckendienst zugelassen. Eine entsprechende Zulassung in Mitteleuropa erfolgte erst im 21. Jahrhundert.
Ein Vorteil der SA-3 gegenüber der Janney-Kupplung ist allerdings, daß sie unter extremen klimatischen Bedingungen im schweren regulären Einsatz erprobt ist, vor allem bei extremer Kälte. Daher findet man sie auch bei den Erzbahnen in Lappland von den Erzgruben in Kiruna und Gällivare zu den Erzhäfen in Narvik und Luleå, wo fast 9.000 Tonnen schwere Erzzüge ohne Zwischen- oder Schubloks durch monatelangen, teilweise extremen Dauerfrost fahren.
Die UIC-Mittelpufferkupplungen: Unicupler AK69e und Intermat
Nach dem Zweiten Weltkrieg machte man sich in Europa mit seinen zusammenwachsenden Märkten Gedanken darüber, endlich einen stabilen automatischen Ersatz für die antiquierte Schraubenkupplung zu finden. Die bisher genannten Kupplungen kamen dafür allesamt nicht in Frage: Die Janney-Kupplung war nicht mehr die Frischeste und obendrein zu nichts kompatibel. Die SA-3 war naheliegender, aber im Gegensatz zur Janney-Kupplung war gar keine Variante mit kuppelnden Leitungen verfügbar. Außerdem wollte man sich im Westen nicht von sowjetischen Kupplungen abhängig machen – ungeachtet dessen, daß auch die SA-3 nur eine mechanisch kompatible Weiterentwicklung eines amerikanischen Patents war. Also sah die UIC auf Basis der SA-3-Kupplung komplett neue Kupplungsköpfe vor, die zueinander und zumindest mechanisch auch zur SA-3 kompatibel sein, aber wie die Schaku auch alle Leitungen kuppeln sollten.
Westlich des Eisernen Vorhangs entstand die von einer Knorr-Tochter entwickelte Unicupler AK69e; für die osteuropäische OSShD entwickelte der Waggonbau Bautzen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Reichsbahn und den Sowjetischen Eisenbahnen die Intermat. Beide Kupplungen waren frei miteinander kombinierbar. Vielleicht war es den Sowjets zu verdanken, daß AK69e und Intermat „nur“ overengineered ausfielen und man nicht wieder wie in den 30ern mit einem überhaupt nicht mehr erfüllbaren Lastenheft dastand.
Ihr erster Nachteil war aber einer, den sie von der SA-3 erbten: Sie waren nicht mit den bisherigen Schraubenkupplungen kuppelbar – auch dann nicht, wenn sie an Fahrzeugen montiert waren, die noch Puffer hatten. Man konnte eine Gemischtkupplung in den Kupplungskopf einsetzen, der das Kuppeln einer UIC-Kupplung mit einem Kupplungshaken für Schraubenkupplung ermöglichte, aber eine ganze Zeitlang waren diese Gemischtkupplungen nicht für den Streckendienst zugelassen, abgesehen davon, daß es immer noch ein Mehraufwand war und nicht immer garantiert werden konnte, daß schnell eine Gemischtkupplung zur Hand war.
Während der Umstellung hätte es also eine Zeitlang eine Zweiteilung des bis dahin frei miteinander kombinierbaren europäischen Eisenbahnrollmaterials gegeben, die die Einsatz- und Umlaufplanung erschwert hätte – noch mehr, weil sich ja die Bestände mit den jeweiligen Kupplungen durch immer weitere Umrüstungen laufend geändert hätten. Deswegen wollte man den Austausch von Millionen Kupplungen an nahezu allen europäischen Loks und Wagen in extrem kurzer Zeit durchziehen: über Ostern 1976.
Das war natürlich komplett unrealistisch. Selbst bei Fahrzeugen, die für den Einbau automatischer Kupplungen schon vorbereitet gewesen wären, wäre es nicht mit einem Austausch der Zugpatrone getan gewesen; man hätte auch sämtliche zu kuppelnden Leitungen an den Fahrzeugenden neu verlegen und an die Kupplung anschließen müssen.
Noch schlimmer wäre es gewesen bei älteren Fahrzeugen, die nicht für automatische Kupplungen vorbereitet waren: Da hätte der Einbau sehr aufwendige Umbauten mit sich gebracht, nicht nur, um die Kupplung mit ihrer tiefen Zugpatrone selbst unterbringen zu können, sondern auch, weil die Fahrzeugrahmen nicht auf mittige Druckbelastung ausgelegt waren. Bei der Verwendung von Schraubenkupplungen wird in der Mitte ja nur gezogen, und die Druckbelastung tritt nur an den Ecken auf, wo die Puffer sitzen. Das hätte also aufwendige Sonderkonstruktionen nach sich gezogen, die hätten getestet und zugelassen werden müssen und höchstwahrscheinlich auch die Fahrzeugmasse und die Achslasten erhöht hätten, was die Einsetzbarkeit beschränkt hätte.
Dampflokomotiven wollte man gar nicht mehr umbauen. Die hätte man aber in sehr kurzer Zeit alle durch neues Rollmaterial ersetzen müssen, was in vielen Fällen hastig vorgezogene Streckenelektrifizierungen mit sich gebracht hätte. Die Dampftraktion war im Ostblock noch weit verbreitet, aber auch einige westliche Bahngesellschaften setzten immer noch einiges an Dampfloks ein – darunter die Deutsche Bundesbahn, die sich von ihren letzten Dampfloks erst im Frühjahr 1977 trennte. Die Deutsche Reichsbahn wiederum hatte erst 1973 sehr viele bereits ausgemusterte Dampflokomotiven reaktiviert als Reaktion auf die Ölkrise.
Das andere große Hindernis bei der Einführung der automatischen UIC-Kupplungen – das heute noch der generellen Umstellung auf automatische Kupplungen im Weg steht –, war logistischer und finanzieller Natur.
Binnen kürzester Zeit hätten Millionen technisch aufwendige Kupplungsköpfe gefertigt werden müssen – und dann an die Bahngesellschaften verkauft. Eine gestreckte Fertigung auf Halde mit Auslieferung vieler Kupplungen in kurzer Zeit ganz am Ende wäre nicht in Frage gekommen, weil die Kupplungshersteller dann finanziell in Vorleistung hätten gehen und nahezu die gesamte Produktion selbst finanzieren müssen, und erst ganz am Ende wären die Kupplungen dann verkauft worden.
Für die Bahngesellschaften wiederum wäre die Einführung automatischer Kupplungen ebenfalls sagenhaft teuer geworden. Sie hätten auf einen Schlag Unmengen an Kupplungsköpfen kaufen müssen, und dann wären die Umrüstungskosten der Fahrzeuge dazugekommen. Wo noch viel nicht umzurüstendes Altmaterial wie Dampflokomotiven im Einsatz war, hätte dieses durch entsprechend viel neues Material ersetzt werden müssen. Einige Bahngesellschaften ließen durchblicken, daß sie sich die Einführung automatischer Kupplungen bei allen Loks und Wagen in ihrem Einsatzbestand überhaupt nicht leisten konnten.
So scheiterte letztlich das Projekt UIC-Kupplung.
Die AK69e wurde von der Deutschen Bundesbahn übrigens tatsächlich zum Einsatz gebracht, und zwar im Erzverkehr. Bis in die 70er Jahre waren da Züge von etwa 2.000 Tonnen üblich, etwa auf der Emslandstrecke im Erzverkehr zwischen Emden und dem Ruhrgebiet. Ein einziger Zug pro Woche, der „Lange Heinrich“, verkehrte mit zwei Loks und der maximal zulässigen Masse von 4.000 Tonnen. Mit der Elektrifizierung von Strecken, auf denen schwere Erzzüge verkehrten, kam allerdings der Wunsch auf, die Erzzüge noch schwerer zu machen, um weniger davon fahren zu müssen. Zum einen rüstete man die bisher auf der Emslandstrecke eingesetzten Vierachser auf AK69e um.
Zum anderen beschaffte man Mitte der 70er für den Erzverkehr zwischen Hamburg-Hansaport und Salzgitter-Beddingen – also auf ungleich dichter befahrenen Strecken – spezielle sechsachsige Neubauwagen, die von vornherein für die AK69e vorgesehen waren und überwiegend auch damit ausgerüstet wurden. Hinter zwei sechsachsigen Elloks der Baureihe 151 wurden jahrzehntelang 5.400-Tonnen-Züge gefahren – inzwischen hat die modernere vierachsige Baureihe 189 übernommen.
Unproblematisch ist die Verwendung dieser Kupplungen aber nicht mehr. In den 90er Jahren hat Unicupler nämlich die Produktion der AK69e eingestellt, weil es sich nicht mehr lohnte. Die Kupplung wurde ja nur noch auf einer einzigen Strecke eingesetzt. Das führte allerdings dazu, daß DB Cargo keine Ersatzkupplungen mehr beziehen konnte.
Irgendwann war dann das Ersatzteillager leer. Weil die Kupplungen an den Loks am stärksten belastet wurden, gingen diese auch als erste kaputt. Viele 151 fuhren eine Zeitlang nur mit einer AK69e herum und hatten auf der anderen Seite eine Schraubenkupplung; solche Loks wurden im Erzverkehr mit den Schraubenkupplungen aneinandergekuppelt. Manchmal liefen vor Erzzügen zwei 151, die insgesamt nur eine AK69e hatten, was jedes Mal das Umdrehen der Loks notwendig machte. Leerzüge nach Hamburg wurden nicht selten mit Kupplungswagen überführt, die an einem Ende Schraubenkupplung und Puffer und am anderen Ende eine AK69e haben.
Schließlich füllte DB Cargo das Ersatzteillager selbst wieder auf – mit gebrauchten Kupplungen. Man kuppelte nämlich einige Erzwagen permanent mit einer festen Kupplungsstange und machte aus ihnen Doppelwagen. Mit jedem dieser Doppelwagen gewann man zwei Ersatzkupplungen. Auch wenn an einem Wagen eine Kupplung defekt war, wurde er damit zum Kandidaten für eine Doppelwagenumrüstung. Aber auch diese Kupplungen werden nicht ewig reichen und haben selbst schon einige Einsatzjahre hinter sich, und die noch im Einsatz befindlichen Kupplungen werden nicht jünger.
In der Schweiz setzte man die AK69e sogar in Reisezügen ein: Die als Swiss-Express eingesetzten Einheitswagen Ⅲ wurden damit ausgestattet und daher auch die entsprechend lackierten Loks der Serie Re 4/4 Ⅱ. Man wollte diese Züge sichtlich so modern und zeitgeistig wie möglich gestalten mit einer neuen Farbgebung, Klimaanlagen, Neigetechnik (!) und eben auch der mutmaßlichen Kupplung der Zukunft.
Zum einen brachte das aber den unschönen Längsruck beim Beschleunigen und Bremsen mit sich. Was das anging, waren sogar die Leichtstahlwagen aus den 1930er Jahren noch komfortabler. Zum anderen wurde es problematisch, wenn eine Swiss-Express-Lok ausfiel. Sie konnte dann nur durch eine ebensolche ersetzt werden, egal, von wie weit entfernt diese herbeigeholt werden mußte. Wie gesagt, Gemischtkupplungen gab es, damit durfte aber nur rangiert werden. Daher konnten die Swiss-Express-Re 4/4 Ⅱ auch nicht als Ersatz für andere Loks einspringen.
Als die Swiss-Express-Garnituren in den 80ern zu Wendezügen umgebaut wurden, rüstete man die Steuerwagen am Führerstandsende, die bestehenden Endwagen am übergangslosen Ende und sämtliche Loks auf Schraubenkupplungen um.
Die C-AKv
Auch die C-AKv ist eine deutsche Entwicklung und sollte alle Nachteile der bisherigen Kupplungstypen ausmerzen und eine Art „ultimative Kupplung“ werden. Sie ist kuppelbar mit der SA-3-Kupplung, der AK69e und der Intermat und wäre theoretisch auch mit alten Willison-Kupplungen kuppelbar, gäbe es sie noch. Zusätzlich ist sie mit Schraubenkupplungen kuppelbar ohne Verwendung einer Gemischtkupplung, die ja, als die C-AKv entwickelt wurde, in Mitteleuropa nur im Rangierdienst zugelassen war. Allerdings kuppeln die Leitungen nur bei C-AKv untereinander auf Schaku-Art automatisch; bei Verbindung mit anderen Kupplungen müssen sie per Hand verbunden werden. Das heißt, die elektrische Heizleitung ist auch in der C-AKv nicht integriert; das wird aber erst eine Rolle spielen, wenn über den Einsatz von C-AKv in lokbespannten Reisezügen nachgedacht wird. Bisher ist sie nur für den Güterverkehr vorgesehen.
Die Verwendung in Reisezügen wird tatsächlich ins Auge gefaßt. Das Haupthindernis ist hier aber das Längsspiel und der damit verbundene Ruck. Konventionelle Seitenpuffer könnten das Problem eliminieren – wie gesagt, bei der SA-3 macht man genau das –, bringen aber ihre eigenen Probleme mit sich, die man mit automatischen Mittelpufferkupplungen eigentlich abschaffen wollte. Daher denkt man über eine Reisezugvariante mit integrierten Gummipuffern nach.
Im Vergleich zu AK69e und Intermat fällt sie deutlich kompakter und leichter aus und ist einfacher aufgebaut, und während sie natürlich deutlich teurer ist als Schraubenkupplungen, dürfte sie billiger ausfallen als die überambitionierten AK69e- und Intermat-Riesenkupplungsköpfe. Außerdem wirkt sie sich weniger negativ auf die Masse der Fahrzeuge aus, an denen sie verbaut wird, und somit im Güterverkehr auf die Lastgrenzen. Die geringere Masse reduziert auch die Belastung der Kupplungsaufnahme.
Noch ein Vorteil gegenüber bisherigen Kupplungen ist, daß zumindest bei Fahrzeugen mit Führerstand die C-AKv wie eine Schaku oder GFV-Kupplung vom Führerstand aus ferngesteuert entkuppelt werden kann. Das Trennen einer Lok vom Zug ist also nur noch eine Frage von Sekunden – der Triebfahrzeugführer muß ja nun auch nicht mehr vom Führerstand steigen und zwischen Lok und Wagenzug kriechen –, und auch der Rangierdienst profitiert davon. Die ferngesteuerte Entkupplung funktioniert mechanisch auch bei Verbindung mit einer SA-3- oder UIC-Kupplung, was aber wenig bringt, weil immer noch Bremsleitungen etc. per Hand getrennt werden müssen. Im Gegensatz zur Schraubenkupplung ist die Zeitersparnis aber gewaltig, und der Tf muß nicht mehr unter Puffern hindurchkriechen.
Sehr lange ist die C-AKv noch nicht im Einsatz und auch das bisher nur in Deutschland: 2004 ging es los mit einem Probebetrieb im Braunkohlenverkehr nach Schkopau. Seit 2010 ziehen 189er Elloks mit C-AKv Erzzüge aus sechsachsigen Wagen mit AK69e zwischen Rotterdam und Dillingen; Ende 2019 haben sie auch die Erzzüge zwischen Hamburg und Salzgitter übernommen mit derselben Kupplungskombination. Hier kann die C-AKv auch das Problem der fehlenden AK69e-Ersatzkupplungen lösen: Die alten AK69e lassen sich problemlos nach und nach durch C-AKv ersetzen, denn gemischte Züge aus Wagen mit AK69e und solchen mit C-AKv sind kein Problem.
Wenn die C-AKv sich bewähren sollte und auch für Reisezüge tauglich gemacht wird, könnte sie endlich die Möglichkeit bieten, auch in Europa eine automatische Kupplung einzuführen. Sie könnte sich sogar auf die allmähliche Rückkehr der Nachtschnellzüge auswirken: Weil Kupplungs- und Entkupplungsvorgänge sehr viel einfacher und schneller ausfallen können, böte das eine Chance für die Rückkehr von Kurswagenläufen. Wenn sie auch die elektrische Hauptheizleitung kuppeln könnte, könnte man sie sogar von innerhalb von Reisezugwagen ferngesteuert entkuppelbar machen, was Zugtrennungen und Kurswagenüberstellungen noch weiter erleichtern würde.
Zu typischen Triebwagenkupplungen wie Schaku und GFV ist die C-AKv nicht kompatibel. Aber da sie in der Lage ist, auch Steuerleitungen zu kuppeln, kann sie durchaus auch die Nachfolge dieser Kupplungen an Triebwagen antreten, was Einsätze wie das Abschleppen liegengebliebener Triebwagen oder das Überführen neuer Triebwagen vom Herstellerwerk zum Einsatzort erleichtern würde, weil man endgültig keine Adapterkupplungen mehr bräuchte.
Das größte Problem könnten die Briten bekommen. Bisher kann alles Mögliche an Loks vor britische Reisezüge gehängt werden, die ja, wie schon erwähnt, Janney-Kupplungen haben. Wenn aber auch britische Loks in Zukunft C-AKv bekämen, wäre die Kompatibilität dahin, denn C-AKv und Janney-Kupplung passen nicht zueinander. Die C-AKv ist zwar mit Schraubenkupplungen kuppelbar, aber britische Reisezugwagen haben nur den Zughaken, nicht die dafür notwendige Kette. Da nimmt man bisher die von der Lok, die bei der C-AKv aber auch fehlt.
Allerdings wird der Reisezugverkehr auch in Großbritannien mehr und mehr von Triebwagen und Triebzügen übernommen, die keine Loks mehr brauchen. Lokbespannte Reisezüge werden sich mehr und mehr auf Sonderzüge reduzieren, vor denen ohnehin häufig Museumsloks zum Einsatz kommen, die dann ihre Schraubenkupplungen behalten könnten und sowohl mit britischen Reisezugwagen mit Janney-Kupplungen und klassischen Kupplungshaken als auch mit modernerem Rollmaterial mit C-AKv kuppelbar wären.
Die Zukunft
Daß noch mehr Kupplungsstandards entwickelt werden, ist eher unwahrscheinlich, denn mit der C-AKv ist einer gefunden worden, der viele Einsatzgebietet abdecken kann und zu vorhandenen Kupplungen kompatibel ist. Ob sie sich ausbreiten wird, wird sich zeigen.
Andererseits experimentiert man in der Schweiz aktuell allen Ernstes ausgerechnet mit Scharfenberg-Kupplungen im Güterverkehr.
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