Fachsprache, Teil 3: Lokführer oder Zugführer?
Früher wollten kleine Jungs Lokführer werden. Und einer der beiden Protagonisten in Michael Endes Jim-Knopf-Büchern nennt sich Lukas der Lokomotivführer.
Inzwischen scheint dieser Begriff beinahe in Vergessenheit geraten zu sein, und vor allem Journalisten – von denen die meisten an Verkehrsmitteln eh nur Pkw und Flugzeug kennen – schreiben fast durchweg nur noch vom Zugführer. Ist ja klar, der fährt den Zug. Teilweise kommen sogar schon Wortneuschöpfungen wie Zugfahrer.
Aber wie nennt man denn jetzt wirklich denjenigen, der vorne auf dem Führerstand sitzt und den Zug fährt?
Ganz kurze Antwort: jedenfalls nicht Zugführer.
Zugführer vs. Lokführer
Um es kurz zu machen: Der Zugführer ist für den Zug das, was der Kapitän auf einem Schiff war: der Ranghöchste. Derjenige, der das Sagen und die Verantwortung hatte.
Für Landratten: Nein, der Kapitän ist nicht der, der am Ruder steht und das Schiff fährt. Das ist der Steuermann. Der ist dem Kapitän untergeordnet. Und der Lokführer entspricht dem Steuermann.
Auf Bahnhöfen ist der Zugführer vor allem vor der Abfahrt eines Zuges zu sehen. Der ist nämlich derjenige, der an der offenen Tür steht, die Kelle schwingt und den Abfahrtspfiff abgibt, um dem Lokführer zu signalisieren, daß der jetzt losfahren soll.
Das vorne auf dem Führerstand ist folglich der Lokführer.
Das heißt, die allermeisten Dampfloks hatten früher zusätzlich noch einen Heizer, wobei dessen Aufgabenbereich über das Heizen hinausging. Bei moderneren Traktionsarten gab es eine Zeitlang noch den Beimann als Nachfolger des Heizers, in seltenen Fällen mit denselben Zusatzaufgaben wie bei Dampfloks, häufiger eher, um Massenentlassungen zu verhindern und Gewerkschaften zu beruhigen.
Übrigens braucht eigentlich jeder Zug einen Zugführer. Auch Güterzüge brauchen einen. Deswegen hatten jahrzehntelang die meisten Güterzüge in Deutschland einen Güterzuggepäckwagen. Im Gegensatz zu den Bremswagen, die es in vielen anderen Ländern gab (Schweiz, UK, USA etc.), die am Zugschluß liefen, liefen die deutschen Güterzuggepäckwagen im allgemeinen hinter der Lok. Sie hatten einen Laderaum für kleinere Sendungen und ein Büro für den Zugführer.
Die Bundesbahn hat übrigens bald versucht, Güterzuggepäckwagen zu vermeiden. Wenn vorm Zug eine Elektrolok oder später eine Diesellok mit zwei Führerständen hing, saß der Zugführer auf dem in Fahrtrichtung hinteren Führerstand. Es gab auch Versuche mit Zugführerkabinen in Dampfloktendern – einige werden sich vielleicht noch erinnern an das Märklin-H0-Modell der 50er mit Kabinentender aus den späten 70ern.
Weiterentwicklungen
Mit der Zeit entwickelten sich aber Zugführer und Lokführer weiter, so daß eigentlich beide Begriffe so nicht mehr existieren – ganz besonders der Zugführer nicht.
„Triebfahrzeugführer“, kurz „Tf“
Als Triebwagen immer mehr zum Thema wurden, hat man bahnintern gemerkt, daß es Kokolores ist, weiter einfach nur von „Lokomotivführern“ zu sprechen, wenn die auch Triebwagen fuhren. Loks und Triebwagen werden in der Fachsprache zusammenfassend „Triebfahrzeuge“ genannt. Der eigentliche Fachbegriff ist also „Triebfahrzeugführer“.
Jetzt ist das Wort aber ziemlich sperrig. Und weil es bei der Bahn viele sperrige Begriffe gibt, gibt es auch viele Abkürzungen, in diesem Fall „Tf“. Das ist sowohl gesprochen als auch geschrieben noch kürzer als „Lokführer“, aber das verstehen nur diejenigen, die wirklich firm in der Eisenbahnfachsprache sind.
Personalunion
Vielfach bedeutete die Aufgabenteilung im Zug aber personalmäßigen Overkill. Als der Beimann noch Pflicht war, mußte theoretisch jeder zweiachsige Triebwagen auf jeder Nebenbahn mit vierköpfigem Personal gefahren werden: Triebfahrzeugführer, Beimann, um den zweiten Arbeitsplatz auf dem Führerstand zu sichern – auch wenn nicht einmal die Streckensicht einen erforderte, weil die aus den allermeisten Triebwagen heraus hervorragend war –, Zugführer und separater Schaffner, sofern während der Fahrt kontrolliert werden konnte.
In der Praxis dürfte der Zugführer auch die Funktion des Schaffners übernommen haben, wenn der Triebwagen solo ohne Bei- oder Steuerwagen unterwegs war. Schon früh ging man aber noch einige Schritte weiter und sparte bei Triebwagen nicht nur den Beimann, sondern übertrug die Funktion des Zugführers auch auf den Triebfahrzeugführer, der dann auch selbst die Aufsicht und die Zugabfertigung übernahm und sich quasi selbst den Abfahrtbefehl erteilte.
Im Stadt- und Vorortverkehr, also auch bei S-Bahnen, war lange Zeit die örtliche Aufsicht auf dem Bahnsteig üblich. Die kümmerte sich auch um die Zugabfertigung und erteilte die Abfahrbefehle, was ja normalerweise dem Zugführer obliegt. Auch hier kam es schon bald zum Einmannbetrieb. Trotzdem blieb der Mensch am Fahrschalter weiterhin primär Triebfahrzeugführer.
Generell hat sich im Nahverkehr in den letzten Jahrzehnten das sogenannte Technikbasierte Abfertigungsverfahren (kurz TAV) ausgebreitet. Das macht es für den Triebfahrzeugführer möglich, einen Zug zur Abfahrt abzufertigen, ohne vom Führerpult aufstehen zu müssen. Zum einen machte das TAV örtliche Aufsichten überflüssig, zum anderen aber auch noch mehr Zugführer auf Regionaltriebwagen, wo der Triebfahrzeugführer wieder diese Funktion mitübernahm.
Im Güterverkehr strich die Bundesbahn den separaten Zugführer schon 1969. Auch hier übernahm der Triebfahrzeugführer dessen Aufgaben mit.
Neue Namen für den Zugführer
In lokbespannten Regionalzügen und generell im Fernverkehr gibt es die Aufgabenteilung und damit den Zugführer weiterhin. Ach ja, das heißt auch: Weiterhin wird der Zug nicht vom Zugführer gefahren, sondern vom Triebfahrzeugführer. Der Zugführer könnte sich da nicht auch noch drum kümmern. Irgendjemand muß den Zug ja auch vor der Abfahrt abfertigen. TAV gibt’s im Fernverkehr nicht.
Außerdem hätte man zumindest bei gezogenen lokbespannten Zügen, bei gezogenen ICE 2 und beim ICE 1 beim Einmannbetrieb generell das Problem, daß es in den Wagen null Personal gäbe und der Triebfahrzeugführer für Passagiere nicht erreichbar wäre.
Den Begriff „Zugführer“ trägt man aber nicht mehr nach außen. Im Fernverkehr der DB heißt er heute „Zugchef“, und in der Schweiz ist das gar allgemein der offizielle Begriff geworden. Wo es ihn in Deutschland im Regionalverkehr noch gibt, heißt er „Kundenbetreuer im Nahverkehr mit betrieblichen Aufgaben“, kurz „KiN B“. Beide erkennt man an der roten Armbinde. Der „normale“ Kundenbetreuer im Nahverkehr entspricht eher einem Schaffner; in dem Fall kommt das TAV zum Einsatz, und der Triebfahrzeugführer übernimmt diejenigen Aufgaben des Zugführers, die nichts mit den Passagieren zu tun haben.