Fachsprache, Teil 2: Der Zug

Für den Laien ist das Thema klar: Wenn es auf Schienen steht oder fährt bzw. stehen oder fahren könnte, ist es ein Zug. Der Laie würde auch einen irgendwo als Lagerraum aufgestellten einzelnen Güterwagen oder eine Denkmallok als „Zug“ bezeichnen.

Inzwischen wird „Zug“ sogar schon synonym für „Eisenbahn“ verwendet, weil es einen Buchstaben weniger hat als „Bahn“. Daher grassiert auch der Begriff „Zugstrecke“ für jedes Stück Gleis, das irgendwo herumliegt und nicht erkennbar einem Bahnhof zuzuordnen ist.

Das wird jetzt fast jeden erstaunen, aber: Das ist eklatant falsch.

Was ist denn jetzt ein Zug?

Zunächst einmal beschreibt der Begriff „Zug“ nicht das ganze System Eisenbahn – auch wenn „Zug“ viel bequemer zu sprechen und erst recht zu tippen ist als „Eisenbahn“. Nein, er bezieht sich zunächst einmal nur auf rollendes Material.

Damit das wiederum als Zug gelten kann, müssen zwei grundlegende Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen sollte das Material natürlich in der Lage sein, aus eigener Kraft zu fahren.

Zum anderen muß es so, wie es ist, dafür vorbereitet und vorgesehen sein, auf die Strecke zu fahren – oder eben bereits auf einer Strecke fahren bzw. gerade gefahren sein. Das fängt damit an, daß das Rollmaterial selbst streckentauglich sein muß. Dazu kommen dann noch weitere Punkte, etwa entsprechendes Personal und durchgehende, geprüfte Bremsen, um mit Streckengeschwindigkeit fahren zu dürfen.

Wie und wann wird aus diesem Rollmaterial nun ein Zug? Nun, „Zug“ kann auch kurz für einen Zuglauf im Fahrplan stehen. Das ist zunächst etwas Abstraktes, nicht Greifbares, bis rollendes Material die Zugnummer und die Fahrplantrasse dieses Zuglaufs zugewiesen bekommt und in der Betriebsstelle, wo dieser Zuglauf beginnt, zur Abfahrt bereitgestellt wird.

Dabei ist komplett unerheblich, um wieviele Fahrzeuge es sich handelt. Eine einzelne Lokomotive kann durchaus als Zug gelten – wenn sie von einem Triebfahrzeugführer von einer Betriebsstelle zu einer anderen über Strecken gefahren wird. Einzelne Triebwagen gelten ja auch als Züge. Bei Leerüberführungen wird aber in beiden Fällen eher von einer Triebfahrzeugfahrt (Tfzf) gesprochen. Früher wurde noch unterschieden zwischen dem Lokzug (Lz) – unabhängig von der Länge – und dem Leertriebwagen (Lt).

Umgekehrt gilt z. B. eine Gruppe Wagen, die innerhalb eines Bahnhofs oder einer anderen Betriebsstelle – also weder auf die Strecke noch von der Strecke – von einer Lokomotive bewegt wird, nicht als Zug, sondern als Rangierabteilung. Wenn die Lok eine nicht zu große Rangierlok ist, wird sie wahrscheinlich nicht von einem Triebfahrzeugführer bedient, sondern von einem Lokrangierführer (die sind billiger, dürfen aber nicht auf die Strecke), und die Lok ist wahrscheinlich das einzige gebremste Fahrzeug in der Fuhre.

Eine Variation der Rangierabteilung ist die Anschlußbedienung. Auch die bewegt sich innerhalb einer Betriebsstelle, also etwa eines Bahnhofs, und dient dazu, Güterwagen zu einem Gleisanschluß zu bringen bzw. von da abzuholen. Das ist also immer noch eine Rangierfahrt.

„Zug“ als Wortbestandteil

Von dieser Definition kann abgewichen werden, wenn „Zug“ nur Bestandteil eines Wortes ist. Ein „Triebwagenzug“ ist immer eine mehrteilige Triebwageneinheit. Ab einer gewissen, nicht näher definierten Länge ist es nicht einmal notwendig, daß alle Fahrzeuge einzeln verfahrbar sein können. Um etwas Verwirrung zu stiften: „Triebzug“ gibt es auch; der hat aber im allgemeinen keine angetriebenen Wagen, sondern einen oder zwei Triebköpfe, die zumindest in Deutschland, Österreich und ein paar anderen Ländern als Triebwagen eingereiht sind.

Stichwort Triebwagen: Bei den S-Bahnen Hamburg und Berlin grassiert der Wortbestandteil „Zug“ in den Bezeichnungen für Längen von S-Bahn-Garnituren. Die kleinste mögliche Einheit ist in Berlin der „Viertelzug“ (zwei Wagen) und in Hamburg der „Halbzug“ (drei Wagen). Aus Viertelzügen werden in Berlin dann die größeren Längen zusammengestellt, die man dann im Betrieb sieht: der „Halbzug“ (zwei Viertelzüge), der „Dreiviertelzug“ (drei Viertelzüge) und der „Vollzug“ (vier Viertelzüge). In Hamburg gibt es den „Kurzzug“ (ein Halbzug), den „Vollzug“ (zwei Halbzüge; die häufigste Länge) und den „Langzug“ (drei Halbzüge).

Sogar ohne Antrieb geht es: Die junge Reichsbahn in der DDR hatte „Doppelstock-Gliederzüge“. Jedes dieser neungliedrigen, zwölfachsigen Fahrzeuge war eigentlich als jeweils ein Wagen eingereiht, wirkte aber für einen einzelnen Wagen etwas sehr lang. Der „Henschel-Wegmann-Zug“ wiederum war eine vierteilige, stromlinienförmige Wagengarnitur, die in den späten 30ern gebaut worden war und von der Bundesbahn Anfang der 50er auf fünf Wagen verlängert wurde. Auch der hatte keinen Eigenantrieb, sondern dafür gab es zwei passende Stromlinienlokomotiven.

Und was soll man jetzt sagen, wenn nicht „Zug“?

Statt wie verrückt mit dem Wort oder Wortbestandteil „Zug“ um sich zu werfen, wo der gar nicht angebracht ist, sollte man Dinge als das bezeichnen, was sie sind: z. B. eine Lok, einen Triebwagen oder ein paar Wagen. „Zug“ kann man immer noch sagen, wenn es auf einer Strecke fährt oder im Bahnhof am Bahnsteig steht.

A propos Strecke: Gewöhnt euch „Zugstrecke“ ab. „Bahnstrecke“ ist auch nicht schwerer auszusprechen und hat nur einen Buchstaben mehr. Und wie ich schon im vorigen Teil schrieb: Wenn es ein Gleisanschluß ist, dann ist es schon gar keine „Zugstrecke“, sondern eben ein Gleisanschluß.

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