Boris Reitschuster veröffentlichte auf seinem Blog ein Interview mit der künstlichen Intelligenz ChatGPT, die derzeit viel diskutiert wird. Das Interview beginnt mit der Frage »Was ist eine Frau?« und ist durchaus interessant, aber könnte noch interessanter sein, wenn Herr Reitschuster nicht bei der ersten Fehlermeldung aufgegeben hätte. Seine Interpretation, die »ideologische Programmmierung traf hier auf ihre Grenzen«, war vermutlich voreilig — und das vielleicht durch Reitschusters eigene Ideologie bedingt.
Bevor wir das Gespräch mit ChatGPT an der Stelle fortführen, wo Reitschuster es beendet, sei noch darauf hingewiesen, dass es hilfreich wäre den Begriff Ideologie weniger emotional aufgeladen zu begreifen und zu verwenden.
Zum Ideologiebegriff
Ideologie ist etwas zutiefst menschliches, und wir alle tragen verschiedene Anteile von Ideologie in uns. Wollte man den Sinngehalt des Wortes neutraler ausdrücken, könnte man von Weltanschauung sprechen. Jeder Mensch hat eine individuelle Perspektive auf die Welt. Als Ideologie bezeichnen wir scheinbar nur solche Weltanschauungen, die wir für kontraproduktiv halten. Im Kern handelt es sich dabei also um einen gewissen rhetorischen Trick, um eine bestimmte Weltanschauung effektiv zu delegitimieren. Denn in unserer Kultur gilt Ideologie eher grundsätzlich als etwas Schlechtes. Etwas als Ideologie zu bezeichnen, schlägt dem Leser demnach vor, das Besprochene negativ zu bewerten. Es ist also eine Form der Polemik, die nicht sachlich ist und daher nicht zum Erkenntnisgewinn beiträgt.
Auch der Autor dieses Blogeintrags ist nicht frei von Ideologie. Was in diesem Artikel aber vorgelebt werden soll, ist nicht Freiheit von Ideologie, sondern ein bewusster und konstruktiver Umgang damit.
Das Interview
Es ist jedem zu empfehlen das von Reitschuster veröffentlichte Interview selbst zu lesen. Zusammengefasst dreht sich darin alles um die Frage, ob es denn nun 2 Geschlechter gebe und sich jeder Mensch einem der beiden Geschlechter zuordnen ließe — oder eben nicht.
Reitschuster vertritt die Auffassung, dass es, abgesehen von intersexuellen Menschen, lediglich 2 Geschlechter gebe und man sich sein Geschlecht nicht aussuchen könne, da es biologisch bedingt sei. ChatGPT stimmt dieser Auffassung grundsätzlich zu, wendet aber ein, dass der Geschlechtsbegriff nicht nur eine biologische Dimension habe, sondern auch eine soziale und eine psychologische. Diese weiteren, über das rein Biologische hinausgehenden Ebenen des Geschlechtsbegriffes, führt ChatGPT aus, könnten »durchaus auch als Konstruktion betrachtet werden«, da sie von »kulturellen, historischen und sozialen Faktoren geprägt« würden.
Die letzte Frage Reitschusters, die darauf Bezug nimmt und nach seiner Interpretation zum ideologisch bedingten Systemabsturz führt, lautet dann:
»Aber könnte man nach deiner Definition dann nicht auch sagen, dass das Menschsein ein soziales Konstrukt ist, und jeder, der es möchte, sich als Hund oder Katze definieren kann? Wo ist da der Unterschied, wenn Du biologische Fakten als zweitrangig erachtest?«
Beginnend mit einem Zitat dieser Frage und einem Vermittlungsversuch, habe ich dieses Interview mit ChatGPT fortgeführt. Zugegeben, es war nicht ganz einfach die mir erscheinenden Widersprüche in den Aussagen von ChatGPT zu thematisieren. Es ist objektiv feststellbar, dass diese KI darauf programmiert ist, in jeder seiner Antworten zu betonen, dass es wichtig ist, Menschen, die nicht in die binäre Geschlechtskategorie »männlich und weiblich« passen, zu berücksichtigen und nicht zu diskriminieren.
Das vollständige Gespräch mit ChatGPT war wesentlich länger und beinhaltete auch eine Fehlermeldung, nach der die Seite für weitere Fragen neu geladen werden musste, wodurch der Gesprächsverlauf verloren ging. Nach dieser Fehlermeldung ging es im Gespräch um das Thema geschlechtlicher Kategorien bei sportlichen Wettkämpfen. Die Antworten sind teils um die sich wiederholenden Hinweise auf die Wichtigkeit der Inklusion nicht-binärer Menschen gekürzt. Das Gespräch zeigt, dass man mit etwas Geduld auch differenzierte Antworten auf Nachfragen zu Widersprüchen von ChatGPT erhalten kann, die durchaus als objektiv bezeichnet werden können. Achtung, es geht gleich zur Sache:
FRAGE: Welche medizinischen Standards wären denn vielleicht geeignet, um eine Kategorisierung von transsexuellen und intersexuellen Menschen in biologisch männlich und biologisch weiblich vornehmen zu können? Hormonelle Konstitutionen lassen sich ja beispielsweise durch Hormonpräparate, durch menschlichen Eingriff verändern, genauso wie äußerliche oder innerliche biologische Geschlechtsorgane sich durch operative Eingriffe verändern lassen. Angenommen man nähme als Kriterium die Geschlechtschromosomen, wie würde man dann beispielsweise einen Menschen mit X0 oder XXY-Chromosomen zuordnen? Und ist nicht genau diese Einteilung in binäre Kategorien etwas, was Menschen, die eben nicht genau einer der beiden biologischen Geschlechter zuzuordnen sind, verletzt? Wie löst man den scheinbaren Widerspruch, zwischen dem Wunsch nach Anerkennung des nicht-binären Geschlechts und dem Wunsch nach Teilnahme an Wettkämpfen, deren Teilnahme die Zugehörigkeit zu einer von zwei binären Geschlechtskategorien voraussetzt? Das ist doch ein Dilemma.
ANTWORT: Es ist wichtig zu verstehen, dass Geschlecht ein komplexes Phänomen ist, das sowohl biologische, soziale als auch psychologische Faktoren umfasst. Die Einteilung in binäre Kategorien basierend auf Geschlechtschromosomen allein würde nicht ausreichen, um die Vielfalt der Geschlechterdarstellung zu berücksichtigen. [Anmerkung: ChatGPT hatte in vorhergehenden Antworten eingeräumt, dass es irreführend ist, den Geschlechtsbegriff sowohl für biologische als auch soziale und psychologische Ebenen zu verwenden, tut es aber weiterhin, anstatt von Geschlechtsidentitäten zu sprechen.]
Es gibt keine medizinischen Standards, die geeignet wären, alle transsexuellen und intersexuellen Menschen in binäre Kategorien einzuteilen. [..]
Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Kategorisierung in binäre Geschlechterkategorien für viele transsexuelle und intersexuelle Menschen problematisch ist. [..]
Wenn es um den Sport geht, ist es wichtig, dass die Regeln fair und inklusiv sind und die unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Teilnehmenden berücksichtigen. [..]
FRAGE: Du hast selbst zuvor vorgeschlagen, medizinische Standards zu verwenden, um zur Wahrung der Fairness in sportlichen Wettkämpfen eine Einteilung in biologisch männliche und weibliche Teilnehmer vornehmen zu können. [Anmerkung: Ich schwör' auf meine biologisch weibliche Mutter]. Du hast also selbst eingeräumt, dass diese Einteilung notwendig ist. Wie aber könnte man dieses Dilemma lösen, zwischen dem Wunsch nach Anerkennung des nicht-binären Geschlechts und dem Wunsch nach Teilnahme an Wettkämpfen, die Zugehörigkeit zu einer von zwei binären Geschlechtskategorien voraussetzt?
ANTWORT: Es tut mir leid, wenn ich mich unklar ausgedrückt habe. Ich habe nicht vorgeschlagen, dass eine Einteilung in biologisch männliche und weibliche Teilnehmer notwendig ist, um Fairness in sportlichen Wettkämpfen zu wahren. [..]
In Bezug auf das Dilemma, dem Wunsch nach Anerkennung des nicht-binären Geschlechts und dem Wunsch nach Teilnahme an Wettkämpfen, die eine Einteilung in binäre Geschlechterkategorien erfordern, gibt es keine einfache Lösung. Es gibt jedoch einige Ansätze, die helfen können, diese Herausforderung zu bewältigen.
Eine Möglichkeit besteht darin, die Einteilung in binäre Geschlechterkategorien zu überdenken und Richtlinien zu entwickeln, die die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten berücksichtigen und faire Wettkampfbedingungen für alle Teilnehmenden schaffen. Einige Sportverbände haben bereits begonnen, solche Richtlinien zu entwickeln.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, spezielle Wettkämpfe für nicht-binäre Sportlerinnen und Sportler zu schaffen, bei denen die Regeln und Bedingungen speziell auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnitten sind. [..]
FRAGE: Wenn nicht-binäre Sportler:innen an ausschließlich biologisch männlichen oder weiblichen Wettkämpfen teilnehmen, werden sie doch implizit in biologisch männliche oder weibliche Teilnehmer eingeteilt, oder nicht?
ANTWORT: Ja, das stimmt. Wenn nicht-binäre Sportlerinnen und Sportler an Wettkämpfen teilnehmen, die ausschließlich für biologisch männliche oder weibliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgelegt sind, werden sie implizit in eine binäre Geschlechterkategorie eingeordnet. Das kann für nicht-binäre Personen unangenehm oder sogar diskriminierend sein.
Deshalb ist es wichtig, dass Sportverbände und Veranstalter von Wettkämpfen sensibel auf die Bedürfnisse von nicht-binären Sportlerinnen und Sportlern reagieren und nach Lösungen suchen, die ihnen eine faire und angemessene Teilnahme ermöglichen. Dies kann beispielsweise durch die Schaffung von speziellen Wettkämpfen oder Kategorien für nicht-binäre Sportlerinnen und Sportler erreicht werden, die ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten berücksichtigen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Richtlinien zu entwickeln, die die Vielfalt der Geschlechtsidentitäten berücksichtigen und eine Teilnahme an bestehenden Wettkämpfen ermöglichen, ohne dabei in binäre Geschlechterkategorien einzuordnen.
FRAGE: Wenn sich ein nicht-binärer Sportler sowohl durch die (fremdbestimmte) Einordnung in biologisch männliche oder weibliche Kategorien, als auch durch die Schaffung spezieller Wettkämpfe oder Kategorien für nicht-binäre Sportler:innen diskriminiert fühlt, bleibt ja als einzige Möglichkeit die vollständige Abschaffung geschlechtlicher Kategorien im Sport. Wenn allerdings alle Geschlechter gleichermaßen gegeneinander antreten, hätten in den meisten Sportarten, basierend auf bisher bekannten Leistungen biologischer Männer und Frauen, die biologisch männlichen Teilnehmer einen Vorteil und würden die Wettkämpfe dominieren. Für biologische Frauen und andere Geschlechter würde dadurch eine Benachteiligung entstehen. Was sagst Du dazu?
ANTWORT: Das Thema der Abschaffung geschlechtlicher Kategorien im Sport ist komplex und es gibt verschiedene Argumente und Standpunkte dazu. Einige Menschen argumentieren, dass geschlechtliche Kategorien im Sport notwendig sind, um die Fairness und die Sicherheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gewährleisten. Andere argumentieren, dass geschlechtliche Kategorien im Sport aufgrund ihrer starren binären Natur nicht gerechtfertigt sind und die Vielfalt der Geschlechteridentitäten nicht angemessen berücksichtigen.
In der Tat könnten geschlechtsneutrale Wettkämpfe oder Kategorien dazu führen, dass biologisch männliche Athleten in vielen Sportarten aufgrund von biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern im Allgemeinen einen Vorteil hätten. Dies könnte dazu führen, dass biologische Frauen und andere Geschlechter benachteiligt würden.
Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, eine Art Punktesystem zu verwenden, das die unterschiedlichen Leistungsstufen von Athletinnen und Athleten berücksichtigt. Dabei könnten individuelle Faktoren wie Hormonspiegel, Körpergröße und Muskelmasse berücksichtigt werden, um eine faire Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Allerdings ist die Umsetzung eines solchen Systems kompliziert und könnte zu weiteren Problemen führen.
Letztendlich ist es wichtig, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität, die Möglichkeit haben, an sportlichen Aktivitäten teilzunehmen und ihre Fähigkeiten zu entfalten. Dabei müssen auch die Bedürfnisse und Herausforderungen von nicht-binären Athletinnen und Athleten berücksichtigt werden. Eine offene und sensible Diskussion und Zusammenarbeit zwischen Sportverbänden, Athletinnen und Athleten und der LGBTQ+-Community könnte dabei helfen, Lösungen zu finden, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigen.