Ein kleiner Blick in die Welt der Signale

Wer mal auf einem Bahnhof ist, sieht sie da eigentlich immer. Auch auf freier Strecke begegnen sie einem: Signale. Damit, wie Signalsysteme funktionieren, läßt sich viel im Eisenbahnbetrieb erklären.

Heutzutage gibt es fast nur noch Lichtsignale, die für Autofahrer wie Ampeln anmuten. So manch ein Laie nennt sie aus Gewohnheit – oder weil er den Begriff „Signal“ noch nie gehört hat – tatsächlich „Ampeln“. In Wirklichkeit haben Verkehrsampeln und Signale nur gemeinsam, daß bei Rot gehalten werden muß und bei Grün gefahren werden darf. Darüber hinaus aber sind die Unterschiede gewaltig.

Übrigens gilt bei der Eisenbahn nicht nur das als Signal, was rote und grüne Lampen trägt. Auch Schilder an Gleisen – eigentlich heißen sie „Tafeln“ – sind Signale. Die Signale, die dem Laien am ehesten auffallen, weil sie am ehesten an Ampeln erinnern, nennt man Hauptsignale.

Wie Signale den Zugverkehr regeln

Einer der bedeutendsten Unterschiede ist: Verkehrsampeln sind zeitgesteuert. Ausnahmen sind reine Fußgängerampeln, die auf Anforderung von Fußgängern, die die Straße überqueren wollen, auf Rot geschaltet werden; aber auch die springen nach kurzer Zeit wieder auf Grün.

Hauptsignale in Bahnhöfen und an Strecken funktionieren gänzlich anders. Einerseits regeln sie den Zugverkehr, andererseits werden sie aber auch auf die eine oder andere Art vom Zugverkehr gesteuert.

Hier kommt eine der wichtigsten Regeln im Eisenbahnbetrieb zum Tragen: Zwischen zwei Hauptsignalen darf immer nur ein Zug sein. Man beachte an dieser Stelle, wie „Zug“ eigentlich definiert ist.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist die Einfahrt eines Zuges in ein schon belegtes Bahnhofsgleis, sofern dort noch Platz ist und das Gleis mittels Deckungssignalen in mehrere Bereiche aufgeteilt ist. Notfallfahrten von z. B. Schlepploks, Hilfszügen oder Rettungszügen zu auf freier Strecke liegengebliebenen oder verunglückten Zügen dürfen nur mit Sondergenehmigung stattfinden und auch das spätestens ab dem letzten Hauptsignal – das dann auf Halt steht – auf Sicht und entsprechend langsam. Das sind dann in dem Sinne keine Zugfahrten mehr.

Den Autofahrer nimmt diese Regel wunder. Hätten Eisenbahnstrecken nicht sehr viel mehr Durchsatz, wenn Züge so fahren würden wie Autos, also kurz hintereinander? Doch, hätten sie. Dazu komme ich noch.

Aber Züge haben einen sehr viel längeren Bremsweg als Autos. Außerdem stehen Ampeln höchstens an Bundesstraßen, auf denen nur 100 km/h erlaubt sind. Signale stehen an Bahnstrecken mit jeder erdenklichen Höchstgeschwindigkeit; rein nach Signalen gefahren werden darf in Deutschland bis 160 km/h.

Aus 100 km/h, so lernt man in der Fahrschule, steht ein Pkw innerhalb von 100 Metern. Versierte Autofahrer schaffen auch kürzere Bremswege. Ein Zug hat aber selbst bei einer Schnellbremsung (!) aus 160 km/h einen Bremsweg von einem Kilometer!

Das heißt: Autofahrer müssen schon ziemlich verantwortungslos oder unaufmerksam fahren, um ihrem Vordermann draufzufahren. Sonst können sie immer rechtzeitig bremsen.

Wenn ein Triebfahrzeugführer vor sich auf freier Strecke einen anderen Zug sieht, kann er nur dann rechtzeitig bremsen, wenn er mehr als einen Kilometer weit sehen kann, was vor ihm auf der Strecke los ist. Das ist selten der Fall. Meistens kann man sogar, wenn man eine Schnellbremsung einleitet, die Stelle nicht sehen, wo man zum Halten kommen wird. Wenn, sagen wir, 300 m vor einem plötzlich ein langsamer oder gar stehender Zug auftaucht, und man fährt selbst Tempo 160, dann ballert man dem anderen Zug drauf. Und in dem sitzen womöglich ein paar hundert Passagiere.

Also muß bei Zugfahrten immer sichergestellt sein, daß mindestens der Bremsweg eines fahrenden Zuges frei ist. Das bedeutet auch: Ein Zug darf nur fahren, wenn die Strecke vor ihm frei ist. Weil der Triebfahrzeugführer das aber selbst nicht sehen kann, muß ihm das signalisiert werden. Dafür sind Hauptsignale da.

Vor allem mehrgleisige Strecken sind für gewöhnlich aufgeteilt in sogenannte Streckenblöcke. Diese liegen jeweils zwischen zwei Hauptsignalen, die hier Blocksignale heißen, und sind im allgemeinen mindestens einen Kilometer lang. Ein Blocksignal steht nur auf Fahrt, wenn a) der Block hinter dem Signal frei ist und b) sich auch ein Zug nähert, der in den Block einfahren soll. Ansonsten steht es auf Zughalt.

Früher waren Streckenblöcke noch handbedient. Da stand der Blockwärter in Kontakt mit den Blockwärtern bzw. Fahrdienstleitern in beiden Richtungen. Die kündigten Züge an, die der Blockwärter dann durchleitete, wenn sein Block in die Richtung frei war. Dabei meldete er den Zug dann an den nächsten Blockwärter bzw. Fahrdienstleiter weiter.

Heutzutage sind Streckenblöcke automatisiert und arbeiten mit Achszählern. Die Funktionsweise ist aber dieselbe.

Ein- und Ausfahrten in Bahnhöfen funktionieren ähnlich und werden mit Einfahrsignalen bzw. Ausfahrsignalen geregelt. Diese werden aber per Hand vom Stellwerk aus gesteuert.

Bei der Einfahrt eines Zuges muß sichergestellt sein, daß das Bahnhofsgleis, in das er einfahren soll, frei ist. Deswegen fahren Reisezüge, wenn der Bahnhof vor ihnen noch voll belegt ist, nur bis zum Einfahrsignal – und nicht bis kurz vor den Bahnsteig. Und bei der Ausfahrt muß eben die jeweilige Bahnhofsausfahrt frei sein.

Zusätzlich dürfen natürlich auch Rangierfahrten den Weg des Zuges nicht kreuzen. Für Rangierfahrten – und eigentlich auch für Zugfahrten – gelten in Bahnhöfen die sogenannten Schutzhaltsignale. In Ausfahrsignalen sind diese schon integriert. Hauptsignale gelten übrigens für Rangierfahrten nicht.

Vorsignale

Nun wird sich der aufmerksam mitdenkende Leser schon gewundert haben: Wenn man von einem fahrenden Zug aus schon einen anderen Zug nicht rechtzeitig genug zum Bremsen sehen kann, wie will man dann ein Signal rechtzeitig genug sehen?

Berechtigte Frage. Die Antwort darauf lautet: Vorsignale.

Signale aller Art für den Zugbetrieb, vor denen gebremst werden könnte oder tatsächlich muß, haben immer ein dazugehöriges Vorsignal. Meistens steht das in einem Abstand von einem Kilometer, also der Mindestblocklänge; je nach Streckenhöchstgeschwindigkeit kann der Abstand auf bis zu 700 m reduziert sein.

Vorsignale gibt’s beispielsweise als Ankündigungstafeln für Geschwindigkeitsbegrenzungen. Es gibt sie auch für Bahnübergangssignale – es gibt tatsächlich Deckungssignale für Bahnübergänge, vor denen Züge anhalten müssen, wenn die Sicherungstechnik des Bahnübergangs gestört ist. Wenn der Bahnübergang nur zwei Andreaskreuze hat, aber keine Sicherungstechnik, gibt’s auch keine Bahnübergangssignale.

Und es gibt Vorsignale auch für Hauptsignale. Diese geben das Signalbild des Hauptsignals wieder. In diesem Fall werden übrigens sogar die Vorsignale angekündigt: 350, 250 und 150 m vor einem Vorsignal steht jeweils eine Vorsignalbake, um dafür zu sorgen, daß der Triebfahrzeugführer auf das Vorsignal aufmerksam wird.

Wenn ein Block so lang wie der Vorsignalabstand ist – das ist beispielsweise meistens bei Bahnhofseinfahrten der Fall, aber auch oft bei Ausfahrten – und getrennte Vor- und Hauptsignale verwendet werden, hängt bei Lichtsignalen das Hauptsignal am selben Mast wie das Vorsignal zum nächsten Hauptsignal. Trotzdem gelten beide als zwei separate Signale. Auf Vorsignalbaken wird dann verzichtet.

A propos Bahnhofseinfahrten: Wenn Züge von einem Vorsignal aus mehrere Hauptsignale erreichen können, bezieht sich das Vorsignal natürlich nicht auf ein festes Hauptsignal. In dem Fall ist von der gestellten Fahrstraße abhängig, welchem Hauptsignal das Vorsignal zugeordnet wird.

Übrigens: Wenn ein Zug schon ein Vorsignal passiert hat und Fahrt erwartet, darf das Hauptsignal nicht mehr nachträglich auf Halt gestellt werden – der Zug könnte eh nicht mehr rechtzeitig halten. Umgekehrt, wenn das Vorsignal einen Zughalt angekündigt hat und von einem Zug passiert worden ist, darf das Hauptsignal auf einen Fahrtbegriff gestellt werden. Um hier Fahrzeitverluste durch Bremsen zu reduzieren, gibt es in unübersichtlichen Streckenbereichen Vorsignalwiederholer, so daß der Triebfahrzeugführer nicht erst am schwer einsehbaren Hauptsignal erfährt, daß er weiterfahren darf.

Über Halt und Fahrt hinaus

Wer bei der Eisenbahn noch etwas genauer hinsieht, wird bemerken, daß es bei Signalen nicht nur Rot und Grün gibt. Rot-gelb gibt es nicht, auf reines Gelb folgt auch nicht nach zwei Sekunden Rot, dafür gibt’s Kombinationen aus Grün und Gelb. Häufig sieht man auch mehr als ein Signallicht leuchten. Was kann das sein?

Hier muß zwischen Vor- und Hauptsignalen unterschieden werden, gerade wenn sie zusammen am selben Mast hängen. Bei Vorsignalen bedeutet Gelb allgemein, daß gebremst werden soll, entweder für Langsamfahrt oder für einen Zughalt.

Bei den Hauptsignalen der Bundesbahn bedeuten Signalbilder mit Gelb immer Langsamfahrt, bei den Signalen der Reichsbahn der DDR nur bei Geschwindigkeiten bis 60 km/h. Solche Signalbilder gibt es, weil Weichen meistens abzweigend nicht so schnell befahren werden dürfen wie geradeaus. In Bahnhöfen sind abzweigend oft nur 40 km/h erlaubt. Weil der Triebfahrzeugführer aber nicht von vornherein weiß, wo er abzweigen wird, und Weichensignale – die gibt’s auch – keine Vorsignale haben, wird er rechtzeitig per Signal eingebremst.

Kurz nach der Wende haben Bundesbahn und Reichsbahn ein neues Signalsystem entwickelt, das Ks-System. Hintergrund dürfte gewesen sein, daß Reichsbahner die H/V-Lichtsignale der Bundesbahn verwirrend fanden und Bundesbahner das HL-System der Reichsbahn noch verwirrender. Heraus kam Europas wohl simpelstes Signalsystem, das mit jeweils nur noch einem farbigen Signallicht auskommt: Rot bedeutet Zughalt, grün Fahrt im weitesten Sinne, gelb auch Fahrt, aber am nächsten Signal ist ein Zughalt zu erwarten.

Langsamfahrten werden mit Geschwindigkeitsanzeigern signalisiert und mit einem blinkenden grünen Signallicht plus Geschwindigkeitsanzeiger angekündigt. Angesichts von Hochgeschwindigkeitsweichen, die abzweigend mit dreistelligen Geschwindigkeiten befahren werden können, gibt es also keine separaten Langsamfahrt-Signalbilder mehr für Geschwindigkeiten von 70 km/h abwärts.

Die Ampelbegriffe Rot-Gelb und Gelb gibt es, wie ich schon schrieb, bei der Eisenbahn nicht. Gelb als Ankündigung von Rot am selben Signal wäre sinnlos; wenn ein Zug in Sichtweite des Signals wäre und das auf Rot spränge, könnte der Zug meistens eh nicht rechtzeitig halten, weil sein Bremsweg zu lang wäre. Und Rot-Gelb gibt es nicht, weil es nicht wie beim Auto darauf ankommt, in Sekundenbruchteilen loszuspurten, sobald der Block vorm Zug frei ist. Im übrigen erteilen Hauptsignale nur die Erlaubnis zum Fahren, aber keinen Abfahrtbefehl; dafür gibt es gesonderte Signale.

Sonst so

Überhaupt mag es überraschen, was noch so alles unter Signale fällt.

Wie schon der Zugbetrieb wird auch der Rangierbetrieb überall da mit Signalen geregelt, wo Gleisanlagen von Stellwerken aus bedient werden. Meistens geschieht das mit Schutzhaltsignalen – die haben rote und weiße Signalleuchten –, manchmal auch mit W-förmigen Wartezeichen, die nur auf ausdrücklichen Befehl passiert werden dürfen.

Weitere Signale gibt es für Geschwindigkeitsbegrenzungen, für Haltepositionen von Reisezügen (das sind die weißen Schilder mit dem schwarzen H drauf), speziell für den Betrieb elektrischer Triebfahrzeuge, für heb- und senkbare Schneepflüge und so weiter.

Sogar die Beleuchtung an Eisenbahnfahrzeugen stellt Signale dar. Das ist kein Witz.

Für Autofahrer sind alle weißen Lichter vorne an einem Fahrzeug Scheinwerfer. Bei der Eisenbahn sind sie das aber nicht.

Erstens sind sie dafür viel zu schwach, sie sind schwächer als Pkw-Scheinwerfer.

Zweitens müßten sie viel stärker sein als Pkw-Scheinwerfer, um aus ihrer großen Höhe etwas bewirken zu können. Bei der Eisenbahn sind ja schon die Puffer höher angebracht als die Scheinwerfer beim Auto.

Und drittens brauchen Züge keine Scheinwerfer, weil sie im Gegensatz zum Auto eh nicht auf Sicht gefahren werden. Das heißt, fürs Auf-Sicht-Fahren – mit maximal 40 km/h – haben modernere Fahrzeuge zusätzliche Fernscheinwerfer, und bei Dieselloks sowjetischer Herkunft kann das obere der drei Spitzenlichter zum Fernscheinwerfer umgeschaltet werden.

Tatsächlich dienen die Spitzenlichter bei der Eisenbahn dazu, einen herannahenden Zug oder eine sich bewegende Rangierlok erkennbar zu machen.

Beim Auto haben die Rücklichter genau diese Funktion hinten: Sie sollen das Auto hinten im Dunklen sichtbar machen.

Weil aber Züge nicht auf Sicht gefahren werden (Bremsweg und so), haben die Schlußlichter bei der Eisenbahn diese Funktion tatsächlich nicht. Sie sollen schon den Zugschluß signalisieren, aber in dem Sinne, daß das auch wirklich der Zugschluß ist. Deswegen wird schon seit Ewigkeiten auch tagsüber der Zugschluß signalisiert.

Der Hintergrund ist interessant: Damit soll Eisenbahnpersonal erkennen können, daß der Zug vollständig ist. Sollte es nämlich eine Zugtrennung geben, bleibt das Fahrzeug, das das Zugschlußsignal trägt, irgendwo auf der Strecke stehen, und der restliche Zug hat hinten kein Zugschlußsignal mehr. Daran erkennt man schnell: Aha, der Zug ist nicht mehr vollständig. Ein Blockwärter würde dann seinen Block nach Durchfahrt des Zuges nicht freigeben und statt dessen auf die Suche nach liegengebliebenen Wagen gehen.

Eigentlich sollten unbemerkte Zugtrennungen schon seit ewigen Zeiten nicht mehr stattfinden. Wenn die Bremsschläuche reißen und die Luft aus der Bremsleitung entweicht, müßten beide Zugteile selbsttätig zum Stehen kommen. Aber man weiß ja nie, ob nicht irgendwo Bremsschläuche nicht gekuppelt oder Lufthähne nicht geöffnet wurden und dann auch noch bei der Bremsprobe geschlampt wurde.

Ein vergessenes Zugschlußsignal ist im Vergleich zwar unangenehm, hätte aber keine katastrophalen Folgen.

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