Was in Hamburg gerade los ist

Um es kurz zu machen: die Hölle. Züge fallen aus, teilweise über sehr weite Strecken, Züge beginnen und enden nicht da, wo sie sollen, andere sind verspätet.

Der Grund dafür ist ein Kabelbrand an der Verbindungsbahn zwischen Hbf und Altona (siehe auch OpenRailwayMap) auf Höhe Sternschanze. Die Folge: Vom Dammtor bis einschließlich Abzweig Rainweg – das ist da, wo aus Richtung Holstenstraße die Gleise Richtung Langenfelde/Eidelstedt/Pinneberg/Elmshorn von denen nach Altona abzweigen – sind sämtliche Signale und Weichen tot.

Das heißt zweierlei. Zum einen, weil die Weichen am Rainweg nicht mehr gestellt werden können, kann hier auch nicht mehr gewählt werden, wohin Züge fahren bzw. von wo sie kommen. Angesichts der Ausfälle von/nach Altona vermute ich, daß beide Weichen aktuell auf Richtung Elmshorn stehen.

Zum anderen kann die Verbindungsbahn kaum mehr befahren werden. Eigentlich ist das eine der am stärksten befahrenen Bahnstrecken Deutschlands. Jetzt kann sich pro Richtung zwischen Diebsteich und Hbf immer nur ein Zug aufhalten. Und auch der fährt auf ausdrücklichen Befehl, damit auf Sicht und darf daher nicht schneller fahren als 40 km/h.

Vom Diebsteich (also aus Richtung Elmshorn) zum Hauptbahnhof ist die Vorgehensweise jetzt so: Der Hauptbahnhof meldet, daß ein Zug einfahren kann. Dann bekommt der jeweils am Diebsteich wartende Zug den Befehl, am – immer noch Halt zeigenden – Signal vorbeizufahren. Der Zug fährt nun mit nicht mehr als 40 km/h zum Hauptbahnhof durch. Erst wenn er das Einfahrsignal des Hauptbahnhofs (das ja noch funktioniert) passiert hat, darf der nächste Zug kommen.

Umgekehrt meldet Diebsteich erst dann, daß ein Zug vom Hauptbahnhof auf die Verbindungsbahn fahren darf, wenn der vorhergehende Zug das erste funktionierende Hauptsignal passiert hat, die Fahrt also sicher ist.

Der geneigte Autofahrer reibt sich jetzt verwundert die Augen: Wieso sollte das so eine große Einschränkung sein? Mit Tempo 40 kriegt man pro Minute dutzendweise Autos durch. Das muß doch auch mit Zügen gehen.

Nein, geht es nicht. Mit Zügen kann man nicht „Stoßstange an Stoßstange“ fahren. Ein ICE hat aus 40 km/h einen längeren Bremsweg als ein Auto aus Autobahn-Tempo, geschweige denn ein Auto aus 40 km/h. Ein ICE wiegt ja auch so viel wie ein paar hundert Autos. Da kann man nicht mal schnell „auf die Bremse treten“, wenn vor einem auf einmal ein anderer Zug auftaucht. Da ist ein Crash vorbereitet. Und das wird teurer als beim Auto.

Ich hatte ja schon in meinem Post über Signale geschrieben, daß zwischen zwei Hauptsignalen immer nur ein Zug sein darf. Das bezieht sich nur auf funktionierende Signale. Aber zwischen Diebsteich und der Einfahrt des Hauptbahnhofs sind alle Signale tot. Folglich darf sich zwischen Diebsteich und Hauptbahnhof jeweils pro Richtung nur ein Zug befinden.

Komplett dunkle Signale (und die Signale an der Verbindungsbahn sind dunkel) dürfen hier aber nicht als gar keine Signale betrachtet werden. Sie dürften ignoriert werden, wenn sie als inaktiv oder ungültig gekennzeichnet sind; das sind sie hier aber nicht. Der Abschnitt gilt also als signaltechnisch ungesichert. Eigentlich darf die Strecke überhaupt nicht befahren werden. Dafür bedarf es spezieller Genehmigungen – und zwar jeweils für jede einzelne Fahrt.

Die Züge fahren am Hbf und am Diebsteich folglich nicht an Signalen vorbei, die einen Fahrtbegriff (entsprechend grüne Ampel) zeigen. Die Signale zeigen weiterhin Halt, und gefahren wird auf Ansage des Fahrdienstleiters. Also müssen die Züge da auf Sicht fahren, was sie normalerweise nicht dürfen (Bremsweg und so). Und auf Sicht dürfen sie nur maximal 40 km/h fahren (Bremsweg und so).

Folge: Pro Stunde und Richtung können nur maximal drei Züge fahren.

Diese Kapazitäten werden aber gebraucht, um leere ICEs zwischen dem Hauptbahnhof und dem ICE-Werk Eidelstedt zu überstellen, wo sie für die nächste Fahrt gecheckt und gereinigt werden (entsprechend einem Boxenstop im Motorsport). Selbst das kommt nicht allen ICEs zugute. Die einzige Ausweichstrecke wäre der Umweg über die Güterumgehung, und die ist eingleisig und wird ständig von Güterzügen befahren, die wiederum sonst überhaupt keine Ausweichstrecke haben.

Damit überhaupt etwas nach Hamburg rein- und wieder rausfahren kann, ist der Hauptbahnhof seit gestern abend für Fernzüge (ICE, IC, EC) gesperrt und wird nur von Regionalzügen angefahren. Man will vermeiden, daß sich Fernzüge aufstauen und dann auch der Regional- und Güterverkehr nicht mehr fahren kann. Selbst ohne Störungen läuft der Hauptbahnhof, Europas am stärksten ausgelasteter Personenbahnhof überhaupt, schon hart an der Grenze zum Kollaps.

So sieht es aktuell aus:

So steht die Verbindungsbahn noch zur Verfügung für die Leerfahrt einer ICE-Garnitur von/nach Harburg (Richtung Ruhrgebiet) und einer ICE-Garnitur von/nach Bergedorf (Richtung Berlin), und man hat noch Luft. Eine dritte Überführung pro Stunde und Richtung, und das ganze Konzept wäre auf Kante genäht, hätte keine Reserven mehr und würde bei der kleinsten Kleinigkeit kollabieren.

Zwischen dem Hbf und Harburg bzw. Bergedorf fahren die Fernzüge ja auch nicht planmäßig, sondern wenn es paßt, und zwar in beiden Richtungen. Man will auf jeden Fall verhindern, daß Regionalzüge hinter wartenden leeren Fernzügen steckenbleiben.

Wenn alle Züge nach Plan auf Hamburg einprasseln würden, hätten wir binnen kürzester Zeit den schönsten Stau, denn der Hamburger Schienenverkehr kann nicht funktionieren, wenn Fernzüge aus Richtung Süden oder Osten nicht über die Verbindungsbahn nach Altona oder Eidelstedt abfließen können.

Wenn Züge auf den Güterzuggleisen vorm Hauptbahnhof über den Ericus hinaus bis vor der Abzweigung Elbbrücken stehen, kommen Güterzüge aus Richtung Süden nur noch in den Hafen. Wenn sie nur auf den Personenzuggleisen stehen, aber über die Abzweigstelle Veddel hinaus, kommen Züge aus Süden, aber kaum mehr Züge aus dem Hafen Richtung Schleswig-Holstein/Skandinavien und Richtung Mecklenburg/Berlin/Tschechien/Polen. Stehen sie bis vor Wilhelmsburg, kommt man aus dem Hafen nur noch nach Süden.

Regionalzüge würden dann über die Güterzuggleise an den aufgestauten Fernzügen vorbei zum Hbf fahren. Wenn aber der Hbf proppevoll ist mit ICEs, die darauf warten, nach Langenfelde aussetzen zu können, kommen auch die Regionalzüge nicht mehr in den Hbf und stauen sich auch auf.

Harburg hat nur sechs Bahnsteiggleise, von denen nur zwei geeignet sind für Züge aus Richtung Süden in Richtung Hbf. Die sind schnell belegt. Wenn es sich dann bis vor Harburg staut, geht gar nichts mehr. Und für so einen Stau braucht es nicht viel.

Folglich versucht man jetzt zu verhindern, daß sich a) in Harburg und b) vorm Hauptbahnhof Züge aufstauen. Das geht aber nur, in dem die Anzahl der Züge reduziert wird, die überhaupt nach Hamburg kommen.

Gestern abend wurde beispielsweise ein ICE aus Richtung Nordrhein-Westfalen in Buchholz gestoppt, das eigentlich gar kein Fernverkehrshalt ist. Man wartete erst fast zwei Stunden auf die Weiterfahrt, während die Metronome lustig am ICE vorbeifuhren. Dann wurde der Zug geräumt, und die Passagiere wurden auf den letzten Metronom des Tages verwiesen.

Hätte man den Zug – der planmäßig erst in Hamburg Hbf wieder hätte halten müssen – weiterfahren lassen, wäre er irgendwo vorm Hauptbahnhof steckengeblieben, wo nicht einmal ein Bahnsteig zum Aussteigen gewesen wäre. Hinter dem ICE wären wiederum Metronome steckengeblieben, und große Teile des südlichen Hamburger Umlandes hätten keinen ÖPNV Richtung Hamburg mehr gehabt.

Warum hat man aber den Regionalzügen den Vorrang gelassen und nicht den schnelleren, besseren, teureren, hochwertigeren ICEs? Aus zwei Gründen: Zum einen hängt von den Regionalzügen die Bedienung aller Orte im Umland ab. Zum anderen enden Regionalzüge am Hbf, wenden und fahren wieder zurück.

Fernzüge tun das nicht; die sind darauf angewiesen, über die Verbindungsbahn nach Langenfelde (IC, EC) bzw. Eidelstedt (ICE) zu kommen. Weil der Hauptbahnhof so stark ausgelastet ist, dürfen Fernzüge da gar nicht enden und beginnen, sondern nur zwischenhalten. Und wenn Altona Nord fertig und die Verbindungsbahn für noch mehr Durchsatz saniert ist, werden auch die RE aus Lübeck, Rostock, Uelzen, Bremen und Cuxhaven und die RB aus Winsen und Tostedt am Hbf nur noch halten und dann nach Altona Nord weiterfahren, wo sie im Gegensatz zum Hbf ohne Fahrtrichtungswechsel aus- und wieder einsetzen können.

Auch der Güterverkehr darf nicht beeinträchtigt werden. Zum einen generiert Hamburg selbst ja jede Menge Schienengüterverkehr durch den Hafen. Zum anderen gibt’s aber auch Durchgangsverkehre, vor allem von und nach Skandinavien. Für die gibt es schlicht und ergreifend keine Ausweichrouten, keine Alternativen zur Fahrt durch Hamburg. Von Lüneburg über Büchen nach Lübeck verläuft nur eine eingleisige Strecke mit altersschwacher Elbbrücke in Lauenburg, die gerade genug Kapazitäten für die stündliche RegionalBahn hat. Ansonsten ginge es nur mit Fahrtrichtungswechsel (= Lok abkuppeln, um den Zug herumfahren, ans andere Ende kuppeln und mit jedem einzelnen von 30 bis 40 Containerwagen Bremsprobe machen) in Bad Kleinen über Schwerin und Lübeck. Übrigens ist Lübeck–Bad Kleinen auch eingleisig. Ab Lübeck käme man nur weiter auf der eingleisigen, güterverkehrfreien Strecke nach Kiel. Von da wiederum gäbe es nur zwei eingleisige Strecken nach Flensburg und Rendsburg, die mit ihren planmäßigen Zügen zu 100% ausgelastet sind, oder den Riesenumweg über Neumünster mit dortigem Fahrtrichtungswechsel.

Wie lange das Ganze jetzt dauern wird? Mit einer konkreteren Prognose wird nicht vor Montag gerechnet. Die DBAG hat schon vorsichtig angedeutet, am Montagabend soll der Schaden behoben sein. Sehr zuversichtlich bin ich da nicht: Beim letzten Kabelbrand bei der S-Bahn im Harburger Tunnel war die Strecke zwischen Wilhelmsburg und Neuwiedenthal sechs Wochen lang gesperrt.

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