Kurzer Abriss über den Staat

Karli Stemmler, 02. August 2022

( Dieser Text wurde als Redebeitrag auf der Demo am 01. August 2022 in Halle zum Thema „Staatliche Repression“ gehalten )

Der Staat versucht uns zu gängeln, der Staat versucht in unsere privatesten Sphären einzudringen und uns vorzuschreiben, wie wir uns verhalten sollen.

Was ist „der Staat“ eigentlich?

Es gab bereits vor 250 Jahren, also in der Zeit des Überganges vom Feudalismus zum Kapitalismus und der Herausbildung von Nationalstaaten kluge Menschen und große Denker, die sich parallel zu dieser Entwicklung über das Wesen des Staates Gedanken machten, wie beispielsweise Wilhelm von Humboldt mit seiner Schrift zur „Bestimmung der Grenzen der Staatstätigkeit“ von 1792. Wilhelm von Humboldt zählt neben seinem Bruder Alexander zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Geisteslebens.

Ausgehend vom Problem „zu welchem Zweck die ganze Staatseinrichtung hinarbeiten und welche Schranken ihr in ihrer Wirksamkeit gesetzt werden soll“ stellt Humboldt die Frage, ob die Staatstätigkeit die freie menschliche Entfaltung nicht eher behindert als fördert.

Freiheit ist die Voraussetzung, um die Individualität möglichst zur Entfaltung zu bringen. Dazu ist Vielfältigkeit der Lebenssituationen eine Vorbedingung.

Dabei dürfen aus vermeintlichen Vernunftgründen keine falschen Zugeständnisse gemacht werden. Die Vernunft würde sich sonst selbst aufgeben.

Für die Bestimmung der Grenzen der Staatstätigkeit stellt Humboldt weiter fest „daß jedes Bemühen des Staats verwerflich ist, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo diese Angelegenheiten nicht unmittelbaren Bezug auf die Verletzung der Rechte des einen durch den andren haben.“

Humboldt weist also schon damals auf die Gefahr der Übergriffigkeit des Staates hin.

Gehen wir ein paar Jahrzehnte weiter stoßen wir auf Michail Bakunin. Bakunin war der Gegenspieler von Marx in der I. Internationale, kommt jedoch in der linken Mythologie höchstens als gefallener Erzengel vor.

Bakunin schreibt 1873 in seinem Werk „Staatlichkeit und Anarchie“ über Wahlen:

„Die Volksvertretung ist nur eine Fiktion. In Wahrheit werden die Volksmassen von einer Handvoll bevorrechtigter Individuen beherrscht, die von einer am Wahltag zusammengetriebenen Herde gewählt, oder, besser gesagt, eben nicht gewählt wird. Nie werden die auf solche Weise beherrschten Massen wissen, warum oder wen sie wählen. Auf diesem angenommenen phantastischen und abstrakten Willen des Volkes, sind sowohl die Theorien des bürgerlichen Staates als auch die der revolutionären Diktatur gegründet“.

Zu revolutionären Diktaturen führt Bakunin bereits 1873 aus:

„Zwischen der revolutionären Diktatur und dem bürgerlichen Staatsprinzip gibt es nur äußerliche Unterschiede. In Wahrheit wollen beide das Gleiche: die Beherrschung einer Mehrheit durch eine Minderheit im Namen der angenommenen Dummheit der Mehrheit und der angenommenen höheren Intelligenz der herrschenden Minderheit. Deshalb sind beide gleichermaßen reaktionär. Ihr Ergebnis ist die dauernde Festsetzung der politischen und ökonomischen Vorrechte der herrschenden Minderheit und die politische und ökonomische Versklavung der Volksmassen.“

Und das bereits im Jahre 1873.

Schaut man sich die heutige Situation an. So kann man dies nur bestätigen. Die Neocons triumphieren in ganz Europa. Um ihre Vormacht aufrecht zu erhalten, haben sich alle Staaten mit einer dreifachen Rüstung umgeben: Militär, Polizei und Finanzmacht.

Sie sind sie bereit, einen verzweifelten Kampf gegen die sozialen Rechte zu führen.

“Uns erscheint es eigentlich selbstverständlich, dass sich in einer solchen Zeit alle aufrechten Demokraten vereinigen sollten, um die verzweifelten Angriffe der internationalistischen Neocons abzuwehren. Aber wir sehen das Gegenteil: die doktrinären Sozialisten in Koalition mit den Grünen stehen gegen die breiten Schichten der Bevölkerung auf der Seite der Befürworter des Staates.“

Schaut man sich heute SPD und die Partei Die Linke an, so scheint dies eine Krankheit jeder etablierten linken bzw. linksgerichteten Partei zu sein.

In einem Staat gibt es notwendigerweise Beherrschung und deshalb Sklaverei; ein Staat ohne offene oder versteckte Sklaverei ist undenkbar.

„Kein Staat, wie demokratisch er sich auch immer in seinen Formen geben möge, – kein Staat also kann dem Volk das geben, was es braucht, nämlich die freie Organisation der eigenen Interessen von unten nach oben, ohne jede Einmischung, Bevormundung oder Nötigung von oben. Jeglicher Staat, stellt letzten Endes nichts anderes dar, als die Beherrschung der Massen von oben nach unten, durch eine intellektuelle und eben dadurch privilegierte Minderheit, die angeblich die wahren Interessen des Volkes besser erkennt, als das Volk selbst.“

Die Neocons in allen Ländern Europas fürchten sozialen Widerstand am meisten und wissen, daß es für sie vor dieser Gefahr keine andere Rettung gibt als den Staat und deshalb will und fordert sie immer einen möglichst starken Staat oder einfach eine Militärdiktatur. Sie wünschen aber, um ihrer Eitelkeit zu genügen und auch um die Volksmassen leichter betrügen zu können, daß diese Diktatur in die Form einer Volksvertretung gekleidet sei. „So glaubt sie, die Volksmassen im Namen des Volkes auszubeuten.“

Das privilegierte und auf wenige Hände konzentrierte Kapital ist zur Seele jeden politischen Staats geworden, der ihm dafür ein uneingeschränktes Recht auf Ausbeutung der Arbeit des Volkes einräumt.

Und „… weder der deutschen noch irgendeiner anderen Nation ist es möglich, sich von der ökonomischen Sklaverei zu befreien, ohne das jahrhundertealte Gefängnis des sogenannten Staates zu zerstören.“

Deshalb gilt die Losung: „Keine Macht für niemand.“

Das sind unsere Überzeugungen und deshalb nennt man uns Anarchisten.

“Wir‚ protestieren nicht gegen diese Bezeichnung, denn wir sind in der Tat Feinde jeglicher Macht, weil wir wissen, daß Macht ebenso zersetzend auf den wirkt, der sie hat, wie auf den, der ihr gehorchen muß.“

Gehen wir einige Jahrzehnte zurück ins Jahr 1967 (Sendung am 03. Dez, im rbb), so landen wir bei Rudi Dutschke. Von ihm ist folgendes Zitat überliefert:

„Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Das heißt, wir haben in unserem Parlament keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung – die wirklichen Interessen unserer Bevölkerung – ausdrücken.“

Wir sollten zudem unterscheiden zwischen Staat und Nation. Beides hat miteinander nichts zu tun. Eine Nation kann von einem Staat beherrscht sein, der Staat ist aber niemals die Nation.

Für eine wirklich gerechte und freiheitliche Gesellschaft ist der bürgerliche Staat als Organisationsform des Zusammenlebens ungeeignet. Er hat sich im Laufe des 18. Jahrhunderts herausgebildet und war in seinen Grundzügen immer darauf ausgerichtet, einer kleinen Minderheit die Mittel zu sichern, die Mehrheit für ihre Zwecke auszunutzen. Dazu wurden die entsprechenden Machtinstrumente geschaffen wie Parlament, Justiz, Armee – und Polizeiapparat, Massenmedien.

An dieser Stelle möchte ich noch ein Interview anfügen, was Prof Peter Alexis Albrecht dem ZDF gegeben hatte. Er ist emeritierter Professor an der Frankfurter Universität und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande.

Wir wandeln uns von einer Rechtsgesellschaft – in eine Sicherheitsgesellschaft und das geht über den Apparat der Militarisierung und das ist das Bedrohliche.

Der Rechtsstaat ist mittendrin in der Auflösung, weil es eine Herstellung von Sicherheit in dem Maße wie es momentan der Politik vorschwebt nicht gibt. Wenn man diese Sicherheit herstellt, hat man die Staatssicherheit und die haben wir in der DDR abgeschafft und nun bekommt die Bundesrepublik noch etwas schlimmeres als das was abgeschafft wurde.

Das ist ein Wahnsinn der die Politik im Grunde beherrscht, die Politik sucht nach Mitteln zu zeigen was sie kann und dabei vernichtet sie den Rechtsstaat und das ist im Grunde das Verbrechen. Die Staatsgewalten spielen verrückt in unserer Gesellschaft. Die Exekutive hat eine derartige Dominanz, dass diese paar Richter in Karlsruhe im Grunde an die Wand gedrückt werden.

Und das ist der echte Verfassungsbruch, dass die Politik sich nicht daran gewöhnt, wenn das Verfassungsgericht eine Aussage macht sich daran zu halten sondern das Ding umzudrehen. Nachdem das Verf.– Gericht die Menschenwürde an erste Stelle gestellt hat kommt die Politik mit dem Konterbegriff eines Quasi – Verteidigungsfalles. Daran sieht man wieder, dass die Militarisierung uns alle in den Strudel reißt und das Recht vernichtet.

Das Interview hatte Prof Albrecht gegeben, bevor Herr Harbart von Kanzlerin Merkels Gnaden als Präsident des Ver. –Gerichtes staatsstreichartig eingesetzt wurde,

Weiter mit Prof Albrecht:

Das ist die Allmacht der Exekutive. Die Exekutive gewöhnt sich daran alles zu schlucken in unserem Staat, das Recht, die Legislative und auch alle Prinzipien der Verfassung. Und das ist eine neue Entwicklung, eine neue Qualität die dem besonnenen Bürger und dem Rechtslehrer große Sorge macht. Denn wenn die Politik das Recht unterminiert, verliert sie ihre Berechtigungsgrundlage, ihre Legitimation. Und dann spielt nicht mehr das Recht die Rolle auf der Welt sondern das Recht des Stärkeren und daran sollten wir uns nicht beteiligen, das sollten andere machen.

Die moderne Welt kennt viele Formen der Unfreiheit. Schon Feuerbach hat gesagt, man könnte eigentlich 80% der Bevölkerung in Ketten legen und das wäre besser für den Staat. Und dann hat Feuerbach er einen neuen Rechtsrahmen und ein neues Strafrecht dafür erfunden.

Und so ähnlich sind wir heute dran. Vor einer scheinbaren Gefahr soll die Gesellschaft ihre gesamte Freiheit aufgeben. Und das ist eine Umkehrung dessen, was uns unser Leben und unsere Demokratie Wert ist.

Die Freiheitsaufgabe ist gleichzeitig der Sicherheitsstaat und damit geht die Sache über die Wupper.

Die Militarisierung der Gesellschaft geht nicht, ohne die Massen über die MSM zu beeinflussen und manipulieren.

Die Methoden zur Manipulation der Massen haben sich in den letzten Jahrzehnten verfeinert.

Wie Rainer Mausfeld in seinem Buch „Warum schweigen die Lämmer“ ausführt bedienen sich die Machteliten in zunehmendem Maße sogenannter „Soft Power Techniken“. Das bedeutet:

…. Demokratie wurde durch die Illusion von Demokratie ersetzt, die freie öffentliche Debatte durch ein Meinungs- und Empörungsmanagement…

…Die wichtigen politischen Fragen werden von politisch-ökonomischen Gruppierungen entschieden, die weder demokratisch legitimiert noch demokratisch rechenschaftspflichtig sind…

… diese Form der Elitenherrschaft bedroht immer mehr unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen…

Mit diesen Methoden sind sie in der Lage, die Gesellschaft beliebig zu manipulieren und sich Herrschaftswissen anzueignen.

Bei der Errichtung der Diktatur des Proletariates wurden von den revolutionären Machteliten ebendiese Machtinstrumente übernommen.

Da mit diesem Staatsaufbau keine wirklich freiheitliche Gesellschaft errichtet werden kann, sind sie letztendlich gescheitert.

Betrachten wir die revolutionären Ereignisse 1989 so sehen wir noch einmal die Schwäche dieses bürgerlichen Staatsaufbaus. Uns wurde die Revolution förmlich weggenommen.

Die bürgerlichen Eliten haben mit ihrem Herrschaftswissen faktisch den sozialistischen Staat gekapert, die bestehenden Eliten durch ihre Leute ersetzt und konnten so problemlos die Macht übernehmen.

Eine wirklich gerechte und freiheitliche Gesellschaft läßt sich nur basisdemokratisch aufbauen mit Menschen, die ihr Leben eigenverantwortlich gestalten wollen.

Der Staat darf allenfalls eine koordinierende, aber nie eine machtausübende Funktion haben